Präventionsprojekt „Verrückt? Na und!“ vermittelt Wissen über psychische Gesundheit – Fachleute und Betroffene informieren Stuttgarter Schulklassen
Stuttgart. „Nach dem Tag heute denke ich ganz anders über Menschen, die psychisch krank sind. Bisher dachte ich, die sind einfach faul“, sagt ein Schüler der 10. Klasse. Er hat gerade am Projekt „Verrückt? Na und!“ teilgenommen. Bei dem Präventionsprojekt der Evangelischen Gesellschaft (eva) kommen seit 15 Jahren fachliche Expertinnen und persönliche Experten – also betroffene Menschen – in Schulklassen; daneben bilden sie auch Lehrkräfte fort. Das Projekt ist in Zeiten von Corona noch wichtiger geworden: Im Moment fühlen sich etwa 80 Prozent aller Jugendlichen psychisch belastet. Im Juli 2020 waren es noch 70 Prozent, vor der Pandemie deutlich weniger.
Corona hat wie ein Brennglas gewirkt, die seelische Gesundheit in Schulen zu verankern, erzählt Britta Schilhanek von der eva, die das Projekt koordiniert. Hinter Drogen- und Alkoholmissbrauch, Mobbing, Gewalt, Schulabstinenz bzw. -abbruch und suizidalem Verhalten würden sich oftmals seelische Krisen verbergen. „Wir haben gerade viele Anfragen aus Schulen, die darum bitten, dass wir vorbeikommen oder digital einen Informationstag durchführen. Die Schülerinnen und Schüler melden sich entweder direkt bei mir oder über ihre Lehrkräfte. Manchmal melden sich auch Einsatzstellen von Freiwilligendienstleistenden oder Betriebe wegen ihrer Auszubildenden.“ Wichtig sei zum einen, jungen Leuten in psychischen Krisen Tipps zu geben; zum anderen, ihren Mitschülerinnen oder anderen Freiwilligendienstleitenden und Auszubildenden diese Krisen zu erklären.
Wie äußern sich psychische Krisen, was kann man tun und wo gibt es Hilfe? Diese Fragen beantworten die Expertinnen und Experten in den Schulklassen. „Bei der Erzählung der persönlichen Expertin waren alle ruhig und haben so aufmerksam zugehört wie noch nie. Selbst die schwierigen Schüler. Da hat man wirklich gemerkt, das macht was mit ihnen“, berichtet der Lehrer einer Gemeinschaftsschule.
Im Dezember 2021 hat der Gemeinderat für vier Jahre im Rahmen des Modellprojektes „Schools for Future“ einen Personalkostenzuschuss für "Verrückt? Na und!" genehmigt. Schon seit August 2020 wird das Präventionsprojekt von sieben Mitgliedern des Stiftungsnetzwerks Region Stuttgart gefördert: Von der Gerhard und Paul-Hermann Bauder Stiftung, der LBBW-Stiftung, der Lechler Stiftung, der Louis Leitz Stiftung, der Ott-Goebel-Jugend-Stiftung, der Vector Stiftung sowie der Wolkenputzer Stiftung. Diese unterstützen das Projekt bis Ende 2023 weiter, damit möglichst viele Stuttgarter Schülerinnen und Schüler einen "Verrückt? Na und!"-Projekttag erleben können. „Wir Stiftungen unterstützen ‚Verrückt? Na und!‘ aus voller Überzeugung“, erklärt Brigitte Ott-Goebel, Vorstandsvorsitzende der Ott-Goebel-Jugend-Stiftung. „Am Projekttag sprechen die Expertinnen und Experten auf Augenhöhe mit den Schülerinnen und Schülern. Das bricht Tabus auf und kann der Anstoß sein, sich zu öffnen und Hilfe in Anspruch zu nehmen.“
„Das macht wirklich Spaß mit den Schülern. Und es kommt bei denen an, das merkt man“, so auch eine persönliche Expertin. Ein persönlicher Experte mit einiger Erfahrung erzählt: „Ich lerne jedes Mal etwas Neues über mich. Aber ich lerne auch ganz viel von und über die Jugendlichen. Eine Herausforderung bleibt es dennoch jedes Mal. Mir hilft es dann, zu Beginn zu sagen, ich bin jetzt gerade sehr aufgeregt, euch meine Geschichte zu erzählen. Und dann merkt man schon, wie sich die Haltung der Schülerinnen ändert.“ (uli)