Beim Treff Sozialarbeit der eva ging es um den Umgang mit Menschen, die im Chaos leben
Stuttgart. Das Bett ist so zugestellt, dass man darauf nicht mehr schlafen kann und in der Küche stapelt sich das dreckige Geschirr. „Messies“ werden Menschen genannt, die ihre Wohnung kaum noch nutzen können. Beim Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft (eva) haben Praktiker über ihren Umgang mit solchen Menschen berichtet. Die Expertin Veronika Schröter hat über die psychischen Hintergründe des Messie-Syndroms aufgeklärt. Fast 200 Besucherinnen und Besucher waren per Zoom bei der Veranstaltung dabei.
Frau K. ist keine arme Frau, im Gegenteil. Sie besitzt eine Eigentumswohnung und sehr viele Dinge. Zu viele. Im Schlafzimmer ist ihr Bett unter der Last der abgestellten Gegenstände zerbrochen. Ihr neues Bett hat sie ins Wohnzimmer gestellt und darauf auch gegessen. Frisch bezogen hat sie es seit zwei Jahren nicht mehr. Das war der Zustand, als Monika Moll vom Fachdienst Wabe (Wohnraumarbeit für Menschen in desorientierten Haushalten) Frau K. zum ersten Mal besucht hat. Mittlerweile kann Frau K. gut für sich und ihre Wohnung sorgen. Doch der Weg dahin war lang.
Zuerst kommt die Beziehung, dann die Müll-Entsorgung
Die Vorstellung, dass eine Fachkraft in eine zugemüllte Wohnung kommt, gründlich aufräumt und dann ist alles gut, ist völlig falsch. Zunächst geht es darum, eine Beziehung aufzubauen: „Wir machen nichts gegen den Willen der Betroffenen. Und wenn Gegenstände entsorgt werden, dann nur auf Wunsch. Bei unserer Arbeit steht der Mensch, nicht die Wohnung im Vordergrund“, beschreibt Monika Moll ihre Vorgehensweise. Zusammen mit drei Kollegen ist sie im Landkreis Esslingen zuständig für Menschen, denen aufgrund der Vermüllung der Verlust der Wohnung droht. Manchmal melden sich die Betroffenen selbst, meistens ist es aber ein Fachdienst, der auf das Problem hinweist. Bis zu einem Jahr lang kann eine Wabe-Fachkraft zwei bis drei Mal wöchentlich für jeweils zwei Stunden in die Wohnung einer vom Messie-Syndrom betroffenen Person kommen. Um Schritt für Schritt gemeinsam mit der betroffenen Person die Wohnung wieder in einen Zustand zu bekommen, in der zum Beispiel Besuche wieder möglich sind.
Jürgen Thomas arbeitet seit zwanzig Jahren in Stuttgart im Dienst der Caritas in der Wohnraumarbeit. Er kooperiert im Umgang mit „Messies“ mit Handwerkern, dem Kammerjäger und Räumungsdiensten. „Meist sind es entnervte Nachbarn, Vermieter oder Hausbesitzer, die sich bei uns melden“, berichtet er. Bevor er seine Arbeit mit Klienten aufnimmt, müssen diese einem Hilfeplan zugestimmt haben. „Manchen der Betroffenen fehlt schlicht die Zeit, für ihre Wohnung zu sorgen, weil sie drei Jobs gleichzeitig haben“, berichtet er.
Für das Horten von Dingen gibt es verschiedene Ursachen
Die äußere Verwahrlosung ist das Zeichen einer großen inneren Not, hat Veronika Schröter von vielen ihrer Klientinnen und Klienten erfahren. Seit mehr als dreißig Jahren beschäftigt sie sich mit den Menschen, denen die Dinge über den Kopf wachsen, und leitet in Stuttgart das Messie-Kompetenzzentrum, in dem Klienten therapiert und Fachkräfte geschult werden. (www.messie-kompetenz-zentrum.com). Sie hat auch Frau K. therapeutisch begleitet.
Es ist weder ein Zwang noch eine Sucht, die hinter dem Verhalten stehen, sich nicht von Dingen trennen zu können, sagt Veronika Schröter. „Es ist eine Wertbeimessungs-Störung. Die Betroffenen holen sich über die Dinge etwas in ihr Leben, das ihnen Geborgenheit gibt.“ Dieses pathologische Horten sei auch kein Zeichen einer Depression, sondern eine Traumafolgenstörung. Oft leiden darunter Menschen, die im Beruf gut organisiert sind, nur in ihrer eigenen Wohnung nicht. Dahinter kann eine Kindheit stehen, in der man keine positive Bindung erfahren hat. Auch überangepasste Menschen können zu pathologischen Hortern werden. „Die Welt der Dinge bezeugt für sie ihre Existenz. Das müssen wir als Fachkräfte würdigen, bevor wir auch nur einen Krümel aus der Wohnung tragen“, sagt Schröter.
Das Vermüllungs-Syndrom oder Verwahrlosungs-Syndrom beruht dagegen meist auf einer schweren psychischen oder hirn-organischen Erkrankung. Dass es in der Wohnung stinkt, riechen die Betroffenen oft gar nicht. Ob die Klienten unter dem Verwahrlosungs- oder Vermüllungs-Syndrom leiden oder ob sie pathologische Horter sind, müsse man in der Begleitung und Therapie unterscheiden. Wichtig sei jedoch bei allen Erscheinungsformen eine gute Kommunikation: „Wir müssen die Lebenswunden erkennen, um willensbildend und bedürfnisorientiert zu behandeln“, sagt Veronika Schröter. (ds)