Stuttgart. Über die Zunahme psychischer Erkrankungen bei jungen Erwachsenen und die adäquate Behandlung dieser Menschen im „Zwischenzustand" der Adoleszenz hat Gunter Joas, Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Esslingen, beim Treff Sozialarbeit am 28. März unter dem Titel „Lost in Transition" referiert. Auch die Evangelische Gesellschaft (eva) hat ein Projekt aufgelegt, das sich speziell an junge Menschen richtet, die mit psychischen Beeinträchtigungen zu kämpfen haben und ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt suchen.
Bei immer mehr jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren wird eine psychische Störung diagnostiziert. Sie nehmen jedoch nur selten medizinische Hilfe in Anspruch – auch weil die Transition, der Übergang von der Jugendpsychiatrie in das erwachsenenzentrierte Angebot nicht gelinge, so Joas. Dazu kommt, dass bereits in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein eklatanter Mangel an Klinikplätzen herrscht: Während etwa in Thüringen pro 10.000 Einwohnern rund 9,4 Betten zur Verfügung stehen, sind es in Baden-Württemberg nur 3,4. „Die Hälfte unserer jungen Patienten kommt als Notfall zu uns", sagt der Psychiater und verweist auf eine Studie, nach der die Hälfte aller behandlungsbedürftigen Kinder und Jugendlichen überhaupt nicht therapiert wird.
Rund 50 Prozent aller psychischen Störungen setzen in der Pubertät ein, dann dauert es aber im Schnitt zwischen sechs bis acht Jahre, bis eine Behandlung beginnt. Die Gefahr der Chronifizierung der psychischen Störung ist also groß. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie darf keine Patienten über 18 aufnehmen, dabei seien diese jungen Erwachsenen in der regulären Psychiatrie nicht bedürfnisgerecht aufgehoben. Denn das Erwachsenwerden, die Entwicklung einer eigenen Identität, so zitiert Joas verschiedene Forschungen, zieht sich mittlerweile über einen sehr langen Zeitraum. Die „Emerging Adulthood", so der Fachbegriff, reicht von 24 bis zu 30 Jahren.
Abgrenzungsschwierigkeiten – Orientierungslosigkeit
Nach Joas war es noch nie so schwierig, sich vom den Eltern zu lösen, wie heute. Gleichwohl ist dies notwendig, um eine eigene Identität, ein eigenes Wertesystem und eine Zukunftsorientierung zu entwickeln. Das freundschaftliche Verhältnis das zwischen Eltern und ihren groß gewordenen Kindern heute herrsche, erschwere eine Abgrenzung. Die Vielzahl der Möglichkeiten an Berufen und Studiengängen einerseits und hohe gesellschaftliche Anspruch an Leistung und Selbstverwirklichung andrerseits endet bei manchen der jungen Erwachsenen in Orientierungslosigkeit. Auch nach zig Praktika können sich die Schulabsolventen nicht entscheiden, ihre Entwicklung gerät ins Stocken, sie ziehen sich zurück, erleben depressive Einbrüche und sind leicht kränkbar. Oft sei das extensive Gaming, das Verweilen in virtuelle Welten, auch eine Antwort auf die Vorherrschaft der Erwachsenen – wenigstens dort kennen Mama und Papa sich nicht besser aus als man selbst.
Die Verlängerung der Phase des Erwachsenwerdens muss nach Joas auch in der Behandlung psychisch erkrankter Jugendlicher berücksichtigt werden. „Die künstliche Zäsur zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Erwachsenenpsychiatrie wird den Behandlungsbedürfnisse Adoleszenter nicht gerecht", so Joas und plädiert für die Vernetzung unterschiedlicher Institutionen wie Klinik und Jugendhilfe oder Jobcenter. Für die Behandlung von psychisch erkrankten jungen Erwachsenen wird es voraussichtlich ab 2020 eine Transitionsstation der Kinder- und Jugendpsychiatrie Esslingen geben. Die geplante Station mit dem Namen „Soulspace" mit 12 Plätzen ist gedacht für junge Erwachsene zwischen 17 und 23 Jahren. Der Aufenthalt in der Klinik soll die Entwicklung einer stabilen Identität und eines Lebenskonzepts unterstützen. „Wir werden hierzu im Austausch mit dem Jugendamt, der Jugendhilfe, aber auch der Agentur für Arbeit und beruflichen Schulen stehen, die zu uns in die Station kommen", sagt Joas über das Konzept.
Neue Wege aufzeigen
Speziell an junge Menschen, die schon viel ausprobiert haben, aber nirgendwo beruflich angekommen sind und mit psychischen Beeinträchtigungen zu kämpfen haben, richtet sich das Projekt „Faro" der eva. „Wir wollen Wege aufzeigen für junge Menschen, die sich verlaufen haben", sagt Elke Stein, die den Bereich Berufliche Integration des Rudolph-Sophien-Stifts leitet. 15 Plätze stehen für junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren zur Verfügung. Bedingung für die Aufnahme: Die Klienten müssen Anspruch auf Leistungen der Agentur für Arbeit haben. Die Klärung des psychischen Handicaps gehört zur Zielsetzung des Projekts, ebenso die Anpassung oft irrealer Berufswünsche an die Realität des Arbeitsmarkts. Aufgeteilt ist das Projekt in zwei Phasen: Während der ersten drei Monate nimmt der Klient einen bis mehrere Termin in der Woche mit seinem Bezugsberater wahr, dabei geht es um die Bewältigung des Alltags und die Klärung der psychischen Einschränkung. Im zweiten Teil, der neun Monate dauert, kommt der Klient in realen Kontakt mit dem Arbeitsleben und wird dabei von seinem Bezugsberater, einem Jobcoach und einem Psychologen unterstützt. Die Berater stellen die nötigen Kontakte dafür her und begleiten bei Bedarf auch beim Praktikum. Über allem steht, dass die Maßnahme von den Klienten nicht abgebrochen wird, auch wenn Schwierigkeiten entstehen. Denn die Erfahrung, etwas nicht fertiggemacht zu haben und von einer Maßnahme in die nächste geschoben zu werden, kennen die Klienten von Faro meist schon zu gut. Am Ende von Faro steht im besten Fall die Aussicht auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, aber auch die medizinische Rehabilitation kann ein Ergebnis von Faro sein. (ds)