Beim Treff Sozialarbeit der eva im Juli ging es um interkulturelle Kompetenzen in der sozialen Arbeit
Was uns fremd ist, macht uns Angst. So einfach dieser Grundsatz ist, so schwerwiegend sind seine Auswirkungen. Denn Angst vor dem Unbekannten ist eine der Hauptquellen für Vorurteile und Ausgrenzung – insbesondere gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Auch Fachkräfte der sozialen Arbeit sind nicht davor gefeit, obwohl sicherlich die meisten für kulturelle Vielfalt und Weltoffenheit eintreten. Welche Voraussetzungen und Kompetenzen sind notwendig, damit ein interkulturelles Miteinander ohne Vorurteile und Missverständnisse gelingen kann? Um diese Frage ging es beim Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft (eva) im Juli. Das Thema lautete „Mach mal Interkultur!“ Die beiden interkulturellen Trainerinnen Kumari Hammer und Regine Esslinger-Schartmann machten deutlich: Nur wer sich mit den eigenen Werten und Haltungen auseinandersetzt, kann interkulturell kompetent agieren.
Viele Sozialarbeiter sind in ihrem Alltag mit dem Thema Interkulturalität konfrontiert: Da ist die Klientin aus Afrika, die immer eine Stunde zu spät zum Termin erscheint und den gesamten Zeitplan durcheinanderbringt. Da ist der muslimische Familienvater, der seiner Frau die Teilnahme am Sprachkurs verbietet. Da ist der junge Asiate, der mitten in der Beratung an sein Handy geht, um ein scheinbar noch wichtigeres Gespräch zu führen. Was tun? Darf ich als Sozialarbeiterin offen ansprechen, was mich stört? Welche kulturellen Besonderheiten und Werte von Klienten muss und kann ich akzeptieren? Und welche nicht?
Von Sami Khedira und Manuel Neuer
„Im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen gibt es oft eine gewisse Unsicherheit“, sagte Kumari Hammer, die als interkulturelle Trainerin unter anderem Wirtschaftsunternehmen berät. Sie weiß, wovon sie spricht. In dem oberbayerischen Dorf, in dem sie aufwuchs, fiel sie schon rein optisch durch ihren dunklen Teint auf: Ihr Vater stammt aus Sri Lanka. Menschen, die uns fremd sind, bieten eine Projektionsfläche für unsere Ängste und Aggressionen, so Hammer. Als fremd empfinden wir aber nicht grundsätzlich fremde Kulturen und Verhaltensweisen, sondern nur solche, über die wir nichts wissen. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist für Kumari Hammer das beste Beispiel: Mesut Özil, Sami Khedira oder Lukas Podolski – sie gehören genauso selbstverständlich zum Team wie Thomas Müller oder Manuel Neuer. Die Unterschiede zwischen ihnen werden zwar wahrgenommen, aber als bekannt erlebt. „Zusammenhalt entsteht nicht, weil alle Mitglieder einer Gruppe einander ähnlich sind und der gleichen Kultur angehören, sondern dadurch, dass etwas Erwartbares passiert“, so Hammer.
Hinter dem Begriff „Kultur“ verbirgt sich mehr, als man gemeinhin denkt. Regine Esslinger-Schartmann, Mitarbeiterin im Weraheim Hebsack der eva, führte unter anderem die Definition des Kulturwissenschaftlers Geert Hofstede an: „Kultur ist die ‚geistige Software‘, die unser Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln bestimmt.“ Jede Kultur hat direkt wahrnehmbare Elemente wie Kleidung, Sprache, Verhalten, Bräuche etc. Hinzu kommt aber ein noch größerer Bereich, der nicht so ohne Weiteres wahrzunehmen ist. Dazu zählen Werte, Einstellungen, Normen, Glaubenssätze, Erwartungen und Gefühle. Der Stellenwert der Familie, die Wahrnehmung von Zeit, das Streben nach Erfolg, der Umgang mit der Umwelt – all das ist kulturell geprägt. „Wir sehen die Welt durch unsere kulturell geprägte Brille“, so Esslinger-Schartmann. Und durch diese Brille beurteilen und bewerten wir auch andere Menschen. Wir können gar nicht anders.
Jeder Mensch hat Vorurteile
Davon zumindest geht der Anti-Bias-Ansatz aus, der in den 1980er Jahren in Kalifornien entwickelt wurde und mittlerweile erfolgreich in der Erwachsenenbildung, in Kitas und Schulen angewendet wird. Laut diesem Konzept hat jeder Mensch Vorurteile. „Man geht davon aus, dass Vorurteile erlernt sind“, so Esslinger-Schartmann. „Entsprechend können sie auch wieder verlernt und hinterfragt werden.“ Ziel ist es, eine Haltung zu entwickeln, in der man sich der eigenen Vorurteile bewusst ist und gegensteuern kann.
Interkulturelle Kompetenzen werden im Zeitalter der Globalisierung und offenen Grenzen immer wichtiger – auch in der sozialen Arbeit. Dabei stützen sich diese auf das Dreieck: Wissen, Haltungen und Fähigkeiten. Im Bereich des Wissens geht es zum Beispiel darum, sich mit den eigenen Werten und der Lebenswelt des Gegenübers auseinanderzusetzen. Wenn mir jemand aufgrund seiner Unpünktlichkeit negativ auffällt, dann sagt das mindestens genauso viel über mich und meine eigene kulturelle Prägung aus. Damit interkulturelles Arbeiten gelingt, braucht es auch eine geeignete innere Haltung: Ich muss neugierig, offen und empathisch sein. Ich muss anerkennen, dass Menschen verschieden sind und meine Wahrnehmung relativ ist. Und schließlich braucht es die Fähigkeit, aktiv zuzuhören, zu beobachten, ohne gleichzeitig zu werten und die eigene Normalität immer wieder in Frage zu stellen.
Mut haben, authentisch zu bleiben
Stellt sich die Frage: Ist das praktikabel? Georg Hegele vom Internationalen Beratungszentrum der eva hat jeden Tag mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern zu tun. In der Diskussion plädierte er dafür, offen für kulturelle Vielfalt zu sein und dabei gleichzeitig authentisch zu bleiben. „Das wichtigste ist, einen eigenen Standpunkt zu haben und diesen auch klar zu machen“, so Hegele. „Wenn man zu den eigenen Werten steht, wird das auch akzeptiert.“