Beim Treff Sozialarbeit der eva ging es um Beteilligung auf Augenhöhe – Forscherinnen, soziale Fachkräfte und Betroffene haben über ihre Erfahrungen berichtet
Stuttgart. Nicht über den Klienten hinweg zu entscheiden, sondern ihn oder sie einzubeziehen – das gehört zu den Grundsätzen pädagogischen Handelns in der Sozialarbeit. Partizipation steht den Menschen, die in Einrichtungen leben, auch rechtlich zu. Allerdings: Nicht immer verläuft diese Partizipation reibungsfrei. Und der Weg dorthin ist mitunter steinig. Beim „Treff Sozialarbeit“ der Evangelischen Gesellschaft (eva) haben zwei Wissenschaftlerinnen der Uni Frankfurt ihre Forschung zum Thema vorgestellt; Sozialarbeiterinnen und Betroffene haben aus der Praxis über ihre Wege zu mehr Teilhabe berichtet.
Wenn Jugendliche von der Forschung in den Blick genommen werden, geht es in der Regel darum, wie soziale Fachkräfte sie dabei unterstützen, Schwächen zu beheben. Jessica Lütgens und Yagmur Mengilli, die im Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Uni Frankfurt forschen, haben in ihrer Arbeit den Spieß umgedreht. Und nicht (nur) danach gefragt, wie man die Partizipation von Jugendlichen stärker fördern könnte – sondern auch untersucht, in welcher Form sich die Jugendlichen selbst gerne einbringen. Denn, so Jessica Lütgens: Wenn Partizipationsprojekte mit zu vielen Vorgaben starten, zielen sie oft an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbei. „Dann wundern sich die Organisatoren, warum keiner beim Filmprojekt mitmacht. Aber die Jugendlichen wollten eben lieber ein Fußballturnier.“
In ihrer Forschung haben Lütgens und Mengilli ein Jugendhaus und eine Wohngruppe für Jugendliche genauer untersucht. In der Wohngruppe gab es feste Strukturen, wie sich Jugendliche an Entscheidungen beteiligen konnten, samt einem gewählten Gruppensprecher. Doch diese Strukturen waren zu wenig am Alltag der jungen Leute orientiert. Zudem hatten diese den Eindruck, die für sie wirklich wichtigen Fragen – wohin geht die Gruppenfreizeit in diesem Jahr, ist eine Reise nach Spanien drin? – würden sowieso woanders entschieden. „Gerade wenn es Konflikte gibt, ist dies eine Chance, die Möglichkeiten für Teilhabe neu auszuhandeln“, erklärt Jessica Lütgens. Wenn Jugendliche Ansprüche an Teilhabe stellen würden, sei das gelebte Demokratie – auch wenn ihre Bedürfnisse möglicherweise nicht den Erwartungen der sozialen Fachkräfte entsprächen. „Zuhören, das ist wichtig, wenn Sozialarbeiterinnen Teilhabe und Teilnahme ermöglichen wollen“, sagt Yagmur Mengilli. Und auch die Bereitschaft, die eigenen Kränkungen und „verletzten Dankbarkeitserwartungen“ zu reflektieren und im Team zu besprechen. „Das halte ich für eine Grundlage für Partizipation“, sagt Lütgens.
Projekt „Respect“ unterstützt junge Menschen
Mit Enttäuschungen umzugehen: Das gehört auch für Sabine Ohnemus und Tatjana Müller zur täglichen Arbeit. Seit zwei Jahren unterstützen die beiden Fachfrauen im Projekt „Respect“ der eva junge Menschen in schwierigen Lebenslagen beim Weg in Ausbildung und Arbeit. Junge Menschen, die teilweise wohnungslos und von psychischen Problemen belastet sind, die fast immer Schulden, aber selten einen guten Schulabschluss haben. Das Angebot ist niedrigschwellig und an wenige Auflagen gebunden. Es gibt keine festen Anwesenheitszeiten; selbst wenn ein junger Klient vorübergehend nicht erreichbar ist, führt das nicht zum Abbruch.
„Die Freiwilligkeit ist bei uns ein Grundsatz. Wir entwickeln gemeinsam mit den Jugendlichen eine Vorstellung, was für sie beruflich in Frage kommen könnte“, berichtet Tatjana Müller. Der Weg dahin ist mühsam: „Wir drehen uns oft im Kreis – wenn etwa ein Klient wieder eine Frist verpasst hat, um sich für eine Maßnahme zu bewerben“, erzählt Sabine Ohnemus. Dieses Gefühl müssten sie als Mitarbeiterinnen aushalten, auch wenn es frustrierend sei. Doch dem Ziel von „Respect“, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, kämen sie nur näher, wenn die Jugendlichen lernen würden, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Gemeinsame Entscheidungen im Gemeindepsychiatrischen Zentrum
Mitbestimmung wird im Gemeindepsychiatrischen Zentrum (GPZ) in Möhringen auf eine besondere Weise gelebt. Dort gibt es eine Gruppe, in der Mitarbeitende, Klientinnen und Klienten gemeinsam entscheiden. Die „All-Inclusive-Gruppe“ entstand 2016, bevor die Einrichtung nach Möhringen gezogen ist. „Wir mussten das entsprechend vorbereiten, damit der neue Standort unserer Tagesstätte für psychisch erkrankte Menschen auch von allen angenommen wird“, berichtet Judith Engel vom GPZ. Also haben sich Klientinnen und Klienten in gemischter Sitzordnung mit Mitarbeitenden an einen Tisch gesetzt – und erst einmal gemerkt, wie unterschiedlich ihre Sprache ist. „Fachbegriffe wie Empowerment und Partizipation mussten wir erst mal googeln“, erzählt Tatjana Schön. „Und haben gemerkt, dass die Mitarbeiter auch nicht alles wissen“.
Die „All-Inclusive-Gruppe“ entwickelt und sammelt Wünsche und Ideen für die Tagesstätte. Entstanden ist dabei zum Beispiel die Gartengruppe, die eine Grünfläche am Haus bestellt. Sie wurde von Klaus-Dieter Kock beim Treff Sozialarbeit mit Fotos vorgestellt. Bei den Fragen zur Partizipation, die der Bundesverband der evangelischen Behindertenhilfe gesammelt hat, hat sich die All-Inclusive-Gruppe ebenfalls beteiligt. „Es ist ein gutes Gefühl, etwas sagen zu können – und die anderen hören zu und nehmen mich ernst“, hat eine Teilnehmerin beschrieben, was ihr die „All-Inclusive-Gruppe“ bedeutet. Nur die Pandemie setzt der Partizipation im GPZ gerade ziemlich zu: Wo keine Gruppentreffen möglich sind, leidet auch die Mitbestimmung. (ds)