Stuttgart. Hunderte Menschen aus ganz Baden-Württemberg haben am Mittwoch, 11. Dezember, vor dem Landtag dafür demonstriert, dass das Bundesteilhabegesetz (BTHG) im Land zügig umgesetzt wird. Sie forderten verlässliche, landesweit geltende Rahmenbedingungen, damit Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen können. Unter den Demonstranten waren auch Assistenten und Assistenznehmer der Individuellen Schwerbehindertenassistenz (ISA) der eva. Die ISA arbeitet schon seit fast fünfzig Jahren im Sinne des neuen BTHG. Sie organisiert rund um die Uhr, sieben Tage die Woche für Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben. „Das BTHG liefert die gesetzliche Grundlage für unsere weitere Arbeit. Es dient dazu, ein Menschenrecht umzusetzen, das in der UN-Behindertenrechtskonvention festgelegt ist“, sagt Gabi Kurzenberger, die Leiterin der ISA.
Am Tag vor der Demonstration einigten sich Land und Kommunen überraschend auf einen Landesrahmenvertrag. Dass dieser auf Eis lag, hatten die Wohlfahrtsverbände in ihrem Demonstrationsaufruf noch kritisiert. Nun stellt das Land im neuen Doppelhaushalt für die Kommunen 126 Millionen Euro für Leistungen nach dem BTHG zur Verfügung.
Sozialminister Manne Lucha (Grüne) landete bei der Demonstration einen Überraschungscoup. Er brachte die Nachricht, dass der Finanzrahmen für das Umsetzen des Gesetzes in den Diensten und Einrichtungen von zehn auf 15 Millionen Euro heraufgesetzt werde. Die Zusage über die Fünf-Millionen-Aufstockung für die Einrichtungen muss allerdings noch den Landtag passieren.
Am 1. Januar 2020 tritt die dritte Stufe des BTHG in Kraft. Das Gesetz soll gewährleisten, dass Menschen mit Behinderung individuell unterstützt werden, um selbstbestimmt leben zu können. Dies begrüßt die Liga der freien Wohlfahrtspflege ausdrücklich. Sie will jedoch, dass der Zusatzaufwand ersetzt wird – auch der für die kostspielige Bürokratie, die das neue Gesetz verursacht.
Deshalb forderten die Demonstranten vom Sozialministerium, die Mehrkosten nicht auf die Dienste und Einrichtungen abzuwälzen, in denen Menschen mit Behinderung leben oder von denen sie begleitet werden. „Es herrscht im Moment auf allen Seiten eine große Verunsicherung, wie die neuen Rechte umgesetzt werden. Dies betrifft sowohl Menschen mit Behinderung, die selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden wohnen, wie jene, die in den Einrichtungen der Behindertenhilfe leben“, erklärte Britta Schade. Sie arbeitet als Psychologin im „Zentrum selbstbestimmtes Leben – Aktive Behinderte in Stuttgart“ und ist selbst contergangeschädigt.
Gabi Kurzenberger von der ISA der eva fordert: „Assistenzdienste müssen weiter ausgebaut werden, damit auch Menschen, die in besonderen Wohnformen leben, bei Bedarf eine Assistenz in Anspruch nehmen und auf diese Art in Würde leben können.“