Treff Sozialarbeit hat über geschlechtersensible Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe informiert
Stuttgart. Geschlechtliche Identität ist für Jugendliche ein sensibles Thema: Fühle ich wirklich als Junge oder Mädchen? Wie reagiert meine Umwelt auf mich und mein Anders-Sein? Junge Menschen, die sich als intergeschlechtlich oder transident verstehen, sollten in der Kinder- und Jugendhilfe auf Mitarbeitende treffen, die ihre Bedürfnisse verstehen und berücksichtigen. Seit Juni 2021 ist das im Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen verankert. Beim Treff Sozialarbeit der eva standen deshalb die Bedürfnisse von LSBTTIQ-Jugendlichen im Fokus.
LSBTTIQ, diese Abkürzung steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, transsexuell, intersexuell und queer. Mari Günther definiert eine Trans-Person als „Mensch, der mit dem ihm zugeschriebenen Geschlecht nicht oder nicht ganz einverstanden ist“. Sie arbeitet als systemische Therapeutin mit dieser Gruppe und für den „Bundesverband trans“. Für Günther ist das Phänomen der Trans-Personen so alt wie die Menschheit. Lange Zeit wurden diese Menschen jedoch durch die Medizin pathologisiert: „Weil man Transpersonen als Menschen definiert hat, die sich im falschen Körper fühlen, die auf dem Weg sind zu einer Geschlechtsumwandlung.“ Dabei gäbe es viele Möglichkeiten zwischen männlich und weiblich. „Sich als trans zu verstehen, ist mehr als die Vorstufe zur Angleichung an ein eindeutiges Geschlecht“, sagte die Therapeutin beim „Treff Sozialarbeit“.
Sich auf die Seite betroffener Jugendlicher stellen
In der Medizin gilt mittlerweile die „Geschlechtsinkongruenz“ einer Person nicht mehr als psychische Krankheit. Mari Günther plädiert dafür, die Selbstauskünfte der Betroffenen zu akzeptieren - und die können eben auch auf „genderfluide Identitäten“ verweisen. Die Jugendlichen sollten auf alle Fälle erst genommen werden: „Eine Verweigerung der geschlechtlichen Versorgung von Trans-Jugendlichen kann eine Kindeswohlgefährdung bedeuten“, warnt die Expertin. Die Sorgen der Eltern sollten in der Beratungsarbeit zwar ernst genommen werden. Wichtiger sei aber, sich mit den betroffenen Jugendlichen zu verbünden, auf ihrer Seite zu stehen.
Der Erziehungswissenschaftler Olcay Miyanyedi berät im Auftrag der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg jugendliche Migrantinnen und Migranten, die sich der LSBTTIQ-Gruppe zugehörig fühlen. Bei einem Projekt hat er 42 davon interviewt, mit unterschiedlichen Nationalitäten von albanisch bis rumänisch und unterschiedlichen sexuellen Identitäten von homosexuell (70 Prozent) bis trans (7 Prozent). „Sie alle haben Ablehnung bis hin zu Gewalt erlebt“, sagt Miyanyedi. Die Religion, überwiegend christlich oder muslimisch, war dafür jedoch nur zum Teil verantwortlich, so die Aussagen der Befragten. „Wichtiger ist, wie traditionsgebunden und hierarchisch das familiäre Umfeld ist“, berichtet Miyanyedi. Dass die Befragten trotz des hohen Normierungsdrucks, dem sie ausgesetzt sind, die Belastungen in eigene Stärke verwandelt hätten und eine für sich selbst passende Lebensform gefunden hätten, sieht Miyanyedi sehr positiv: „Diese Gruppe leistet so einen Beitrag zu einer demokratischen und offenen Gesellschaft.“
Angebote für Jugendliche in Stuttgart
Die Stadt Stuttgart fördert seit 2016 Beratungsangebote für sexuelle Orientierung und geschlechtliche Vielfalt. Beatrice Olgun-Lichtenberg von der Abteilung für Chancengleichheit leitet die Koordinierungsstelle Gender/LSBTTIQ. Sie hat beim Treff Sozialarbeit Angebote vorgestellt, die mit unterschiedlichen Beteiligten umgesetzt wurden. So gehen unter dem Stichwort „Regenbogenbildung“ queere Jugendliche in Schulen und beantworten Fragen, es gibt einen Leitfaden für geschlechtersensible Jugendarbeit, mit Pflegefachschülern wurde bei einem Workshop über das Thema gesprochen und die Koordinierungsstelle hat einen Flyer gedruckt, der zahlreiche Beratungsangebote und Ansprechpartner für Betroffene listet. Er ist auch auf der Homepage der Stadt Stuttgart zu finden. (ds)