Beim Treff Sozialarbeit ging es um Pauschalierende Ablehnungskonstruktionen (PAKOs) und die Konsequenzen für die Jugend-, Bildungs- und Sozialarbeit.
Stuttgart. Es gibt immer eine Gelegenheit, auf andere herabzusehen. Und da es sich die Menschen gerne einfach machen, greifen sie dabei in die Kiste der Pauschalurteile. Sie lehnen ihre Mitmenschen ab, weil sie eine Behinderung haben, arbeitslos sind, fremd aussehen oder nicht der Norm entsprechen. Nach dem Motto „Persönlich habe ich nichts gegen Mehmet, aber ich bin gegen alle Muslime". Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" (GMF). Beim Treff Sozialarbeit am 9. Mai im Haus der Diakonie referierte Kurt Möller von der Hochschule Esslingen über die Erweiterung dieses Begriffs: „Pauschalierende Ablehnungskonstruktionen und die Konsequenzen für die Jugend-, Bildungs- und Sozialarbeit".
„Ideologie der Ungleichwertigkeit“
Der von dem Bielefelder Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer geprägte Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) umfasst 13 Stichworte: Menschen mit Behinderung, Wohnungslose und Langzeitarbeitslose, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Asylbewerber, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit, Sexismus, Homophobie und Ablehnung von Transgender-Personen, Etabliertenvorrechte. Als deren gemeinsamer Kern wird eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit" genannt.
Untersuchungen haben nun gezeigt, dass in einigen dieser Bereiche die Zahlen in den vergangenen Jahren stabil sind, z.B. beim Umgang mit Behinderung. Die Ablehnung von asylsuchenden Menschen liegt jedoch bei über 50 Prozent und jeder Fünfte lehnt Fremde pauschal ab. Dazu gehört auch die Frage der Etabliertenvorrechte: Das Argument „Ich war zuerst da" ist in der Schule und im Umgang mit Migranten gleichermaßen zu erleben.
Die „Tusse“ wird zur „Russenschlampe“
Die Aussage „Aussiedler sollten besser gestellt sein als Ausländer, da sie deutscher Abstammung sind" beispielsweise kann eindeutig als rassistisch eingestuft werden. Bei Fragen zum Antisemitismus muss dagegen unterschieden werden: Nicht jede Kritik an der Politik des Staates Israel ist als antisemitisch einzustufen. Heißt es aber „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat" ist das durchaus antisemitisch gemeint, da sich die Aussage pauschal gegen Juden richtet.
Bei der Islamfeindlichkeit hat es in den vergangenen Jahren eine Steigerung gegeben. „Es sind aber nicht die rechtsextremen Täter, die das Schiff der Demokratie zum Schlingern bringen können", sagte Kurt Möller und verwies darauf, dass mit den bisherigen Untersuchungen nur die Spitze des Eisberges betrachtet würde. Entscheidend sei die weite Verbreitung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft.
An der Hochschule Esslingen werden im Rahmen des PAKOs-Projektes „Rückgrat" schwerpunktmäßig junge Menschen befragt. Zu beobachten ist, dass die Ablehnung wegen eines Stils (Hiphop oder Deutschrock) oder des Territoriums („die vom anderen Stadtteil") mittlerweile sehr viel stärker national und ethisch aufgeladen wird. Grob gesagt: die Tusse wird zur Russenschlampe. Auch würden Muslime automatisch als Ausländer angesehen. „Dass es deutsche oder säkulare Muslime gibt, ist für viele nicht vorstellbar", sagte Möller.
Es geht weniger um Argumente als um Sinnlichkeit
Was bedingt nun diese Entwicklung? Da sind die enttäuschten Erwartungen an die eigene Lebensgestaltung, die Sorge, das Leben nicht mehr in den Griff zu bekommen, wenn „die anderen" mehr werden. Gefährder von rechts geben diesen Jugendlichen die Kontrollmöglichkeit zurück, integrieren sie und geben ihrem Leben einen Sinn. Es geht weniger um Argumente als um Emotionen, ja Sinnlichkeit. „Die sinnlichen Erfahrungen der Jugendlichen sind ja nicht selten auf exzessiven Alkoholkonsum beschränkt", so Möller. „Die Blume am Wegesrand, den schön gedeckten Tisch, das sehen sie nicht."
Man solle daher mehr ursachenbezogen arbeiten, riet der Referent und warb für das Modell KISSeS. Dabei geht es um die Gestaltung des eigenen Lebens, die Erfahrung, dass individuelle Handlungen Positives bewirken: Kontrolle über das eigene Leben, Integration und wertschätzende Anerkennung, Sinnlichkeit, Sinnerfahrung, erfahrungsstrukturierte Repräsentationen (also Erfahrungen sichtbar zu machen und zu kommunizieren), gestärkte Sozialkompetenzen. „KISSeS beugen pauschalen Ablehnungen vor, trotzen der Ausgrenzung und sichern die Demokratie".(scc)
Dieser Treff Sozialarbeit fand im Rahmen des Ausstellungsprojekts „Kunst trotz(t) Ausgrenzung“ statt, einer Wanderausstellung der Diakonie Deutschland . Die Ausstellung und das vielfältige Begleitprogramm sind bis 28. Juni in Stuttgart zu sehen als Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt. Weitere Infos und alle Veranstaltungen sind zu finden unter www.kunst-trotzt-ausgrenzung-stuttgart.de.