Die Herausforderungen der Armutsmigration waren Thema beim Treff Sozialarbeit
„Wer betrügt, der fliegt“: Mit dieser markigen Parole hatte die CSU Ende 2013 die Debatte um die Armutszuwanderung aus Südosteuropa angeheizt. Denn seit dem 1. Januar haben auch EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien grundsätzlich freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Manche Politiker und Medien zeichnen Schreckensszenarien und warnen vor einem Ansturm auf die deutschen Sozialsysteme. Ist die Sorge teilweise berechtigt oder völlig überzeichnet? Wie begegnen die sozialen Dienste der Situation? Beim Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft (eva) am 22. Mai diskutierten Experten über verschiedene Aspekte der Armutsmigration. Eines wurde deutlich: Rechtliche Regelungen allein können die Probleme nicht lösen.
„Wir sind in vielen Fällen hilflose Helfer. Und das ist frustierend.“ Sarah Heinrich von der Stuttgarter Bahnhofsmission fand bei ihrer Analyse der gegenwärtigen Situation deutliche Worte. „Unsere Einrichtungen sind verstopft. Und es kommt auch zu Rivalitäten zwischen den Hilfesuchenden untereinander.“ Viele Frauen und Männer, die aus Südosteuropa in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben nach Stuttgart kommen, landen zuerst bei der Bahnhofsmission. Die meisten sind in einer existenziellen Notlage. Sie sprechen kein Deutsch, haben keine Krankenversicherung, keine Unterkunft und kein Anrecht auf Sozialleistungen. Eine Perspektive können Sarah Heinrich und ihre Kollegen ihnen nicht geben. Sie bieten existenzielle Hilfen an, vermitteln ihnen eine vorübergehende Unterkunft und unterstützen sie bei der Rückkehr in ihr Heimatland. Mehr geht meist nicht.
Aber selbst wenn Zuwanderern rechtlich eine Unterstützung durch das JobCenter zusteht, werde sie in manchen Fällen verweigert. Darauf wies der Rechtsanwalt Prof. Dr. Rolf Gutmann hin, der auch Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Informationsbrief Ausländerrecht“ ist. „Das Verfahren ist nicht immer gesetzes- und verfassungskonform.“
Wer hat Leistungsansprüche? Und wer nicht?
Stellt sich die Frage: Wer hat einen Leistungsanspruch und wer nicht? Klaus Weidner von der Sonderdienststelle für Menschen in Wohnungsnot beim JobCenter versuchte, ein paar Schneisen in den Paragraphendschungel zu schlagen: Männer und Frauen aus den „alten“ EU-Staaten, etwa Griechenland oder Spanien, sowie aus den „neuen“ Mitgliedsländern Bulgarien oder Rumänien bekommen in den ersten drei Monaten weder Hartz IV noch eine andere Leistung nach dem Sozialgesetzbuch II. Es sei denn, sie sind als Selbstständige tätig oder können bei der Einreise bereits einen Job vorweisen. Nach der dreimonatigen Sperrfrist ändert sich zwar die Gesetzeslage, meist aber nicht die Situation der Betroffenen: Wer noch keinen Job gefunden hat und sich allein wegen der Arbeitssuche in Deutschland aufhält, hat weiterhin keinerlei Ansprüche.
Für Familiennachzügler aus EU-Staaten oder Zuwanderer, die in Lohn und Brot stehen, sieht es besser aus: Ihnen stehen grundsätzlich Leistungen aus den sozialen Sicherungssystemen zu. Sie können beispielsweise aufstocken, wenn das Einkommen nicht zum Lebensunterhalt reicht. Wer leistungsberechtigt ist, wird durch das JobCenter umfassend unterstützt. „Unser Ziel ist es, die Betroffenen nachhaltig in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagte Sabine Wolloner vom JobCenter Stuttgart. Zunächst klären die Mitarbeitenden die beruflichen Kompetenzen und die persönliche Situation des Betroffenen. Anschließend erarbeiten sie gemeinsam einen Integrationsplan – wenn nötig, mit Unterstützung eines Dolmetschers. Darin können Sprachkurse, spezielle Projekte und Weiterbildungen für Migranten enthalten sein. „Der Fachkräftemangel ist gerade die große Chance für Migranten, auf dem Arbeitsmarkt hier Fuß zu fassen“, so Wolloner.
Doch die meisten, die aus Südosteuropa kommen, sind und bleiben davon ausgeschlossen: Sie sprechen kaum Deutsch, finden keine Arbeit und schlagen sich mehr schlecht als recht durch. „Es ist unsere Aufgabe, die Not dieser Menschen zu lindern, da sind wir uns alle schnell einig“, sagte Heinz Gerstlauer, Vorstandsvorsitzender der eva. „Aber dann?“ Die Gesellschaft brauche einen breiten Diskurs, welche Ziele sie beim Thema Zuwanderung verfolge. Geht es darum, die Migranten zu integrieren? Dann müsse man ihnen Sprachkurse anbieten. Oder will man, dass sie in ihre Heimat zurückgehen? „Dann muss man ehrlich darüber reden, den Kontakt zu den Herkunftsländern suchen und gemeinsame Lösungen finden.“
Ohne eine engagierte Zivilgesellschaft geht es nicht
Im Moment fühlen sich insbesondere die Sozialarbeiter in den offenen Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe von der Politik alleingelassen. „Ich wehre mich dagegen, dass unsere Tagesstätten zu billigen Wartekiosken verkommen“, sagte Peter Meyer, der als Bereichsleiter bei der eva auch für die Wärmestube zuständig ist. In der Tagesstätte im Haus der Diakonie können arme und einsame Menschen günstig essen, einen Kaffee trinken, Wäsche waschen und duschen. Die Zahl der Gäste aus Südosteuropa ist gestiegen, nicht jedoch die Zahl der Mitarbeitenden. Und diese kämpfen im Alltag auch mit Sprachbarrieren. „Wir können den Menschen oft nicht einmal klar machen, dass wir sie nicht weitervermitteln können“, so Meyer. „Wir brauchen hier die Hilfe und Unterstützung der öffentlichen Hand.“
Er forderte einen Runden Tisch, an dem alle Beteiligten sich vernetzen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Sarah Heinrich betonte, dass die Herausforderungen der Armutszuwanderung nicht ohne eine engagierte Zivilgesellschaft zu lösen seien. Auch Heinz Gerstlauer pflichtete diesem Gedanken bei. Man müsse zwar einerseits mit konkreten Forderungen an die Politik herantreten. Gleichzeitig seien aber Ideen und Kreativität gefragt, um alle bestehenden Ressourcen auszunutzen. Und wenn für bestimmte Migranten-Gruppen keine öffentlichen Gelder für Sprachkurse fließen, dann müsse man eben versuchen, ein ehrenamtliches Angebot auf die Beine zu stellen: „Denken darf nicht da aufhören, wo Leistungsbezüge aufhören.“