Seit 30 Jahren gibt es die Wohnungslosenhilfe der Evangelischen Gesellschaft (eva) im Landkreis Esslingen, seit 20 Jahren das Berberdorf als anerkannte Einrichtung der Wohnungslosenhilfe. Dass die Hilfen für Menschen ohne Obdach weiterhin notwendig sind, ist zwar kein Grund zum Jubeln. Doch in all den Jahren gab es viel Unterstützung und Zuspruch – dieses Bündnis für die Schwachen in unserer Gesellschaft hat die eva am 20. Juli im Esslinger Berberdorf gefeiert. Zum Jubiläum zeigte die Hüttensiedlung, gelegen zwischen B-10-Auffahrt und dem Neckarkanal, den Festgästen ihr neues, freundlicheres Gesicht: Nach langer Bauzeit sind Sanierung und Umbau weitgehend abgeschlossen. Im Berberdorf gibt es jetzt fünf Sanitärcontainer, eine Bio-Kläranlage, zusätzliche Hütten und einen Dorfplatz. „Die Zeit des Umbaus war anstrengend und mit Unannehmlichkeiten für Bewohner und Mitarbeitende verbunden“, sagte eva-Vorstand Prof. Dr. Jürgen Armbruster beim Jubiläumsfest. „Aber es hat sich gelohnt.“
Das Berberdorf blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Schon in den 1980er Jahren war der schmale Uferstreifen zwischen Pliensau- und Vogelsangbrücke unter Wohnungslosen bekannt: Andernorts vertrieben, konnten sie hier ungestört „Platte machen“, also ihr Nachtlager aufschlagen. Initiiert von Bürgern aus Kommune und Kirchengemeinden, unterstützt von Stadt und Kreis Esslingen sowie der eva gelang es schließlich, dieser „wilden“ Übernachtungsstelle Schritt für Schritt Strukturen zu geben: Zunächst wurden Zelte und Bauwagen organisiert, dann ein Sanitärcontainer aufgestellt. Heute werden die wohnlichen Holzhütten mit Flüssiggas beheizt und sind mit Licht und Strom ausgestattet. Seit 1995 hat das Berberdorf offiziell den Status eines „Aufnahmehauses“. Das bundesweit einmalige Projekt bietet bis zu 26 Frauen und Männern ohne Obdach eine „Heimat auf Zeit“.
Motto: Keinen Menschen aufgeben
„Dies ist ein Hoffnungsort der besonderen Art“, würdigte Dekan Bernd Weißendorn die Einrichtung in seinem Grußwort. „Wohnungslose Menschen werden hier angenommen, wie sie sind.“ Wer hier lebt, ist zuvor durch alle sozialen Netze gefallen. Viele Bewohner haben eine lange Geschichte der Obdachlosigkeit, der Ausgrenzung und der Armut hinter sich. Viele sind psychisch auffällig oder krank und gesundheitlich angeschlagen. „Unser Motto ist, keinen Menschen aufzugeben“, betonte Regine Glück, die zuständige eva-Abteilungsleiterin. „Wir versuchen jedem eine Perspektive zu geben, für die es sich zu leben lohnt – auch unter schwierigsten Bedingungen.“
Es sind Menschen wie Wolfgang Pasa, die im Berberdorf wieder zur Ruhe kommen und ihr Leben neu ordnen können. Der 56-Jähirge wohnt seit Ende 2014 in einer der Hütten. Nach gescheiterter Ehe und einigen Jahren im Ausland war er auf der Straße gelandet und stand vor dem Nichts. „Ich bin sehr dankbar, dass ich hier wohnen kann“, so Pasa. „Hier kann ich essen, schlafen und bekomme Hilfe bei allen bürokratischen Dingen.“ Das Team der Sozialarbeiter begegnet den Bewohnern auf Augenhöhe, betonte Regine Glück. „Wir haben kein Recht, den Menschen mit dem moralischen Zeigefinger zu begegnen und sie zu erziehen. Auch Lebensentwürfe, die nicht der Norm entsprechen, müssen wir akzeptieren.“
Verantwortungsgefühl der Bewohner gestärkt
Zur Einweihung des sanierten Dorfes wurde auch das Kunstprojekt vorgestellt, das der Fotograf Thomas Rathay zusammen mit einigen Bewohnern umgesetzt hat: Drei Sanitärcontainer schmücken nun große Fotoplanen, die die Bewohner mit ihren Alltagsbegleitern zeigen – ob Hund, Fahrrad oder Rucksack. Nicht nur beim Fotoprojekt waren die Bewohner aktiv: Sie sind jeweils zu fünft für „ihren“ neuen Sanitärcontainer zuständig und kümmern sich auch um die Gestaltung und Pflege der Außenanlage. All das hat das Verantwortungsbewusstsein der Bewohner gestärkt und die Stimmung im Dorf nachhaltig verbessert.
„Das Berberdorf liegt nicht nur zwischen zwei Brücken, es will gleichzeitig eine Brücke zur Stadt hin öffnen“, sagte Sozialdezernentin Katharina Kiewel. Dass der Rückhalt der Esslinger Bürger für die Hüttensiedlung am Neckar groß ist, betonte auch der Esslinger Sozialbürgermeister Dr. Markus Raab. Regine Glück warb bei der Festgesellschaft aus Politik, Kirchen, Sozialer Arbeit und Kultur dafür, dass dies so bleibt. „Nehmen Sie uns wahr als Teil der Stadt Esslingen.“