Sie sind mobil, die Mitarbeitenden der Mobilen Jugendarbeit: Seit 45 Jahren suchen sie Jugendliche dort auf, wo sie sich aufhalten. Die Konzeption ist neuer, stammt allerdings auch schon aus dem Jahr 1991. Damals sahen die Lebensbedingungen junger Menschen ganz anders aus als heute. Passt da der Ansatz noch, den der soziale Dienst verfolgt? Das haben die Träger der Mobilen Jugendarbeit Stuttgart vom Institut für angewandte Sozialwissenschaften (IfaS) an der Dualen Hochschule Stuttgart untersuchen lassen.
Treffpunkte am Wohnort heute weniger interessant
Die Studie soll ein neues Konzept begründen; das IfaS hat dafür 16 Monate lang Experten befragt und mit Fachkräften diskutiert. Die Ergebnisse wurden bei einem Fachtag am 3. März diskutiert. Zu dem Fachtag hatten der Caritasverband für Stuttgart und die Evangelische Gesellschaft (eva) eingeladen, die gemeinsam mit evangelischer und katholischer Kirche die Mobile Jugendarbeit tragen.
Die Lebenswelt und die Freizeit vieler junger Menschen ist heute ganz anders als vor zwei Jahrzehnten: sie halten sich auf den Party-Meilen der Innenstadt und in Einkaufszentren auf, zwischendurch sind sie in virtuellen Welten unterwegs. Die Treffpunkte am Wohnort, an denen die Jugendsozialarbeiter sie früher aufgesucht haben, sind weniger interessant geworden. Auch die Jugendphase hat sich verlängert: Auf der einen Seite suchen noch Zwanzigjährige nach Beruf, Identität und Orientierung. Auf der anderen Seite verhalten sich schon Kinder wie Jugendliche. Diese Verjüngung des Jugendalters sei auch biologisch bedingt, so Prof. Thomas Meyer vom IfaS beim Fachtag: Die Geschlechtsreife beginne heute früher, im Schnitt setze beispielsweise die Menstruation bei Mädchen schon mit 12 Jahren ein, 1980 noch mit 16 Jahren.
Neue Zielgruppen: Kinder und Flüchtlinge
Cliquen von Kindern zwischen 8 und 13 Jahren schwänzen heute die Schule, treffen sich abends an öffentlichen Plätzen, konsumieren Tabak und Alkohol. Sie beschädigen zum Teil auch Dinge oder haben gewalttätige Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen. Das Leben dieser Kinder ist meist von massiven Schulproblemen und belasteten Familiensituationen geprägt. Seit 2012 gibt es deshalb die „Mobile Kindersozialarbeit“ an drei Standorten in Stuttgart. Die Sozialarbeitenden suchen die Kinder dort auf, wo sie sich treffen, kombinieren Angebote der Einzelhilfe mit der Arbeit für Cliquen und sind gleichzeitig im Gemeinwesen aktiv. Dieser Ansatz wird in der Studie als besonders geeignet für diese Kinder bezeichnet.
Zu den Zielgruppen der „Mobilen“ zählen daneben zunehmend Flüchtlinge. Sie haben häufig vor oder auf der Flucht Familienangehörige und Freunde verloren. In Deutschland stehen sie vor der schwierigen Aufgabe, sich in einem fremden Umfeld und mit einer fremden Sprache zurechtfinden zu müssen. Hinzu kommen die Ungewissheit und die Sorge, wie es in Zukunft weitergehen wird. Die Studie weist darauf hin, dass die Mobile Jugendarbeit hier mit ihrer aufsuchenden Arbeit im Stadtteil oder auf den Pausenhöfen der Schulen besonders gut Kontakt zu den jungen Menschen knüpfen kann. Auch Angebote für Gruppen seien gut geeignet, die jungen Migranten zu unterstützen: Damit könnten auch Flüchtlinge erreicht werden, die von anderen Freizeitangeboten aufgrund ihres Verhaltens ausgeschlossen werden.
Mobile bieten Wertschätzung, aber auch Reibungsflächen
Vereinzelt kümmern sich die sozialen Fachkräfte auch um Mitglieder extremistischer Gruppierungen. Dazu zählen sowohl Jugendliche, die rechtsradikalen Gruppierungen angehören, als auch andere, die Rockerbanden oder Gangs mit Zügen organisierter Kriminalität angehören, sowie zum dritten junge Menschen, die religiös geprägten extremistischen Strömungen wie den Salafisten anhängen. Jugendliche aus solchen Gruppierungen, die Hilfe und Beratung suchen, weist die Mobile Jugendarbeit nicht ab. Die Aufgabe der Fachkräfte besteht dann aber vor allem darin, präventive Angebote zu entwickeln sowie in Einzelfällen Vermittlung und Beratung anzubieten, betont das IfaS. Für die Jugendlichen sei es wichtig, schon vorher Kontakt zur Mobilen Jugendarbeit geknüpft zu haben, bestätigte Andrea Wollmann von der Mobilen Jugendarbeit. „Wir sprechen mit ihnen wertschätzend, bieten aber auch eine Reibungsfläche.“ Daran würden sich die jungen Menschen später erinnern, wenn sie sich aus einer Bandenstruktur lösen wollten.
"Die Bedeutung der Mobilen wird zunehmen"
Prof. Meyer zog beim Fachtag ein positives Fazit der Arbeit der Mobilen: „Die theoretischen Grundlagen sind mehr als geeignet für die neuen Herausforderungen.“ Ihre Stärken seien weiterhin, wie flexibel und präventiv sie arbeitet, dass sie im Stadtteil verankert ist und dass ihre Mitarbeitenden die Jugendlichen da aufsuchen, wo sie sind. Mit Hilfe dieser Stärken sei sie auch künftig in der Lage, Entwicklungen frühzeitig wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. „Damit ist die Mobile Jugendarbeit ein zukunftsfähiger Partner innerhalb der Jugendhilfelandschaft in Stuttgart.“ Prof. Meyer schickte noch eine Botschaft an die Politik hinterher: „Mit der aktuellen Ausstattung ist es fraglich, ob die Mobile Jugendarbeit in der Lage sein wird, die Herausforderungen adäquat zu stemmen.“ Deshalb sei wichtig, zusätzliche Projekte zu fördern, um deren Wirkung zu testen.
Eines der Projekte, das in den vergangenen Jahren getestet wurde, war das nächtliche Streetwork auf Stuttgarts Straßen an Wochenenden 2012 und 2013. An dieses aus seiner Sicht sehr gelungene Projekt erinnerte Stefan Hetterich, Dezernatsleiter Jugendkriminalität der Polizei. Die Polizei arbeite sehr gerne mit der Mobilen Jugendarbeit zusammen, so Hetterich. Sein Fazit: „Ich gehe davon aus, dass die Bedeutung der Arbeit der Mobilen in den nächsten Jahren zunimmt.“