Treff Sozialarbeit befasst sich mit Zukunft der Heimerziehung - Mehr Bildungschancen für junge Menschen werden gefordert
Experten in der Jugendhilfe haben vorgeschlagen, den Begriff Heimerziehung durch einen neuen Namen zu ersetzen. Die bisherige Bezeichnung sei stigmatisierend, betonten Stefan Wedermann und Lucas-Johannes Herzog. Heimerziehung werde immer noch als letzte Stufe von Hilfe gesehen und nicht als eigenständige Hilfeform anerkannt, kritisierten die beiden Fachreferenten beim jüngsten Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (eva). Unter dem Motto „Das ist (nicht) mein zu Hause“ ging es um „Zukunftsimpulse für stationäre Settings in der Kinder- und Jugendhilfe“.
Wedermann und Herzog stellten als Vertreter der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) die Ergebnisse des Projekts „Zukunftsforum Heimerziehung“ vor. Bei der bundesweiten Initiative zur Weiterentwicklung der Heimerziehung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ging es von 2019 bis 2021 darum, herauszuarbeiten, was gute Heimerziehung ausmacht.
Verlässliche Kontakte zum Jugendamt
Klar sei, dass freiheitsentziehende Maßnahmen nicht mehr möglich sind, hieß es vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte um missbräuchliche Praktiken in Kinderheimen in vergangenen Jahrzehnten. Daneben sei ein zentrales Thema in der Heimerziehung, verlässliche Kontakte zum Jugendamt zu entwickeln. Außerdem würden sich Eltern immer noch häufig ausgeschlossen fühlen.
„Eine der erschütterndsten Erfahrungen war, wie viele junge Menschen formuliert haben, wie stark sie ausgeschlossen sind von Bildungsprozessen“, erläuterte Wedermann. Sie hätten schlechtere Möglichkeiten, Schulabschlüsse zu machen, unter anderem auch, weil Nachhilfe nur dann gewährt worden sei, wenn akute Versetzungsgefahr bestehe. Dies sei ein „rigides Verhalten und kein förderndes“, hieß es. Starke Benachteiligungen wurden auch festgestellt bei der Beteiligung am kulturellen Leben.
Grundsätzliches müsse es darum gehen, eine zukunftsorientierte und rechtsbasierte Heimerziehung zu etablieren. Aufgrund des Projekts hat die IGfH Rahmenbedingungen formuliert. Dazu gehören auch Forderungen an die Politik. Nachhaltigkeit der Hilfe sollte gewährleistet werden, besonders in Blick auf die Unterstützung der so genannten Care Leaver, die das Hilfesystem in Richtung Selbstständigkeit verlassen.
Selbstständigkeit stärken
Es sollten auch Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten vorhanden sein. Junge Menschen kritisieren zum Beispiel die Praxis der Heimaufsicht. Besuche würden angemeldet, deshalb könnte man sich entsprechend darauf vorbereiten. Gefordert werden unangemeldete Besuche der Aufsichtsbehörden. Grundsätzlich forderten die Fachreferenten, sowohl den Dialog mit den jungen Menschen als auch deren Selbstständigkeit zu stärken. Grundsätzlich sollten nicht die Defizite im Mittelpunkt stehen, sondern die Ressourcen der jungen Menschen.
Aus Sicht der Praxis bekräftigten Vertreterinnen und Vertreter von Hilfseinrichtungen die vorgestellten Ergebnisse. Janina Kaiser, die bei der eva Stuttgart im Bereich stationäre Hilfen zur Erziehung arbeitet, und Patrik Nagel,, beim Jugendamt der Stadt Stuttgart für die Einrichtungsleitung der Wohngruppe Silberburg zuständig, stellten ihre Arbeit vor. Kaiser bestätigte, dass es für Helferinnen und Helfer entlastend sei, Verantwortung abzugeben und stärker an Jugendliche zu delegieren. Auch Nagel führte am Beispiel der Wohngruppe aus, dass die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens für die jungen Menschen im Mittelpunkt des Engagements der Verantwortlichen in der Kinder- und Jugendhilfe stehen müsse. (rl)