Woche für das Leben: Landesbischof und Generalvikar zu Besuch im Pflegeheim der eva - Stärkere gesellschaftliche Wertschätzung der Pflege gefordert
Stuttgart. „Alter in Würde“ – unter dem Motto der diesjährigen Woche für das Leben haben Landesbischof Frank Otfried July und Generalvikar Dr. Clemens Stroppel am heutigen Freitag das Wichernhaus der Evangelischen Gesellschaft (eva) besucht. „Zu diesem Thema haben Sie sich genau die richtige Einrichtung ausgesucht“, sagte Johannes Stasing, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der eva, bei der Begrüßung. In dem Pflegeheim der eva in Stuttgart-Kaltental leben ehemals wohnungslose Frauen und Männer, die von ihrem Leben in Armut schwer gezeichnet sind. Die meisten sind suchtkrank und haben keine sozialen Kontakte. „Hier im Wichernhaus finden die Bewohner endlich etwas, das sie vorher so nicht erlebt haben: Geborgenheit und eine Heimat“, so Stasing. Landesbischof July betonte: „Dass es diese Haus hier in Stuttgart gibt, ist für die Stadt und ihre Menschen ein Schatz.“
"Generation Genießen"
Was bedeutet es, in Würde alt zu werden? Generalvikar Clemens Stroppel wies darauf hin, dass es nicht mehr das eine Bild vom Alter gebe. Auf der einen Seite stünden Menschen, die schon mit Anfang 60 pflegebedürftig sind – so wie viele Bewohner des Wichernhauses. Der Altersdurchschnitt liegt hier mit 63 Jahren rund 20 Jahre unter dem Altersdurchschnitt in anderen Pflegeheimen.
Auf der anderen Seite gibt es die fitten Alten, die mit 75 Skifahren gehen oder ihre Erfüllung in einem Ehrenamt finden. Mit Blick auf die „Generation Genießen“ warnte der Generalvikar der Diözese Rottenburg-Stuttgart davor, menschliche Würde und Lebensqualität auf Gesundheit, Mobilität und Selbstbestimmung zu verengen. Menschen sollten nicht von der Sorge getrieben sein, anderen durch ihre altersgemäßen Einschränkungen zur Last zu fallen.
"Würde ist bedingungslos"
„Würde ist bedingungslos“, unterstricht auch Landesbischof July die Haltung der Kirche. „Denn Gott hat jedem Menschen diese Würde geschenkt. Unabhängig davon, wie alt, wie gesund, wie klug, wie aktiv er ist.“ Er hob die Relevanz von Pflege hervor. Sie schaffe es, dass Menschen in Würde leben und sterben könnten, auch wenn sie die Norm der fitten Leistungsträger nicht erfüllten – das Wichernhaus sei dafür ein lebendiges Beispiel.
„Wenn es gelingt, der Pflege insgesamt den gesellschaftlichen Stellenwert zu geben, der ihrer Bedeutung entspricht, dann wird – so meine Hoffnung – auch der Fachkräftemangel in der Pflege zu bewältigen sein“, so July. Mehr gesellschaftliche Anerkennung für die wertvolle Arbeit, die seine Mitarbeitenden u.a. im Wichernhaus leisten, das wünscht sich auch Gerhard Schröder, zuständiger Abteilungsleiter bei der eva. „Und darunter verstehe ich nicht wohlfeile Sätze, sondern einen Bewusstseinswandel in der breiten Bevölkerung.“
Menschenwürdige Pflege bedeutet mehr Zeit für die älteren Menschen
Landesbischof July und Generalvikar Stroppel plädierten beide dafür, mehr Geld ins Pflegesystem zu geben. Es sei beschämend, so July, wenn teilweise „obszöner Reichtum“ der Besteuerung entzogen werde, während gleichzeitig nicht genug Geld für die Pflege da sei. Genauso beschämend finde er es, wenn in einem Wahlkampf über alles Mögliche diskutiert werde, aber so gut wie nicht über eine menschenwürdige Pflege. Letztere macht sich für Gerhard Schröder wesentlich daran fest, „dass unsere Mitarbeitenden Zeit haben für die älteren Menschen – für Gespräche auf Augenhöhe ohne Zeitdruck, Zeit zum Zuhören, Zeit zur Begleitung in der letzten Lebensphase. Das geht nicht ohne zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und das kostet Geld."
„Wir brauchen einen Sichtwechsel“, forderte July. „Dass wir alte, verletzliche und gebrechliche Menschen nicht abschreiben. Dass wir uns vielmehr auf sie einlassen. Dass wir ihnen nicht von oben herab begegnen, sondern von Mensch zu Mensch.“
Woche für das Leben
Seit mehr als 20 Jahren steht die „Woche für das Leben“ für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens und seinen Schutz in allen Lebensphasen. Sie will auf die vielfältigen Gefährdungen des menschlichen Lebens hinweisen und Menschen in Kirche und Gesellschaft für die Schutzwürdigkeit des Lebens in allen seinen Phasen sensibilisieren. Die „Woche für das Leben“ ist eine gemeinsame Aktion der Katholischen und Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie wurde bundesweit am 9. April 2016 im Mainzer Dom eröffnet. Der landesweite Festgottesdienst zum Abschluss der „Woche für das Leben“ findet am Samstag, 16. April 2016, in der Katholischen Kirche St. Johannes in Nürtingen statt.