Valeria Anselm hat ein Buch über ihr Aufwachsen in einer eva-Wohngruppe geschrieben
In den Computer getippt hat Valeria Anselm ihr Buch in zwei Wochen in den Sommerferien. Das hört sich nach nicht viel an – doch dahinter stecken Erfahrungen von vielen Jahren. Mit elf Jahren ist sie in eine Wohngruppe der Evangelischen Gesellschaft (eva) eingezogen, hat dort schöne und bittere Erfahrungen gemacht und diese so strukturiert wie anschaulich festgelalten. „Das ist (nicht) mein Zuhause“, heißt das Buch, das 2022 erschienen ist und seitdem nicht nur in Sozialarbeiterkreisen ein Thema ist. Mittlerweile ist die 3. Auflage gedruckt, mehr als 20 Lesungen hat Valeria Anselm deutschlandweit schon gehalten, weitere stehen an. „Und meistens fließen dabei Tränen“, sagte sie kürzlich ziemlich trocken, als sie ihr Buch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der eva vorgestellt hat. Ihr Text fasst die Zuhörer an.
Die Lesung im Großen Saal im Haus der Diakonie war auch ein Abschied von vielen Wegbegleiterinnen bei der eva: Nach dem Abitur hat Valeria Anselm noch ein FSJ in ihrer Einrichtung gemacht, um Mitbestimmungsprozesse voranzutreiben. Im Herbst wird sie ein Studium der Sozialen Arbeit beginnen – und vorher endgültig die Wohngruppe verlassen. „Für mich gibt es keine Rückkehr in mein altes Kinderzimmer, wie bei anderen, wenn sie bei ihren Eltern auf Besuch sind“, sagt sie. Ihr Buch wird als Vermächtnis bleiben: Wer neu in eine eva-Wohngruppe zieht, bekommt es als Geschenk.
Kritik am System der Jugendhilfe
Der Text hat ein klares Anliegen: Er will jungen Mädchen Mut machen, die genauso wie Valeria Anselm selbst in jungen Jahren in eine Wohngruppe ziehen wollen oder müssen. Und sich dort erst einmal verloren fühlen. Für sie hat sie ihre eigene Geschichte aufgeschrieben und ist zum Sprachrohr geworden.
„Aufmerksamkeit“ ist eines der Kapitel überschrieben, in dem sie eindrücklich schildert, wie es ist, wenn die Lieblingsbetreuerin nicht einfach bleiben und zuhören kann, wenn es einem schlecht geht. Weil es immer noch andere Mädchen gibt, die sich noch elender fühlen. Oder die zumindest lauter auf sich aufmerksam machen. Viel Kritik am Jugendhilfesystem und an dem ihrer Meinung nach viel zu niedrigen Personalschlüssel steckt in dem reflektiert geschriebenen Text. Kaum auszuhalten sei es, wenn die Betreuerinnen so oft wechseln und in der Gruppe ständig jemand ein- oder auszieht.
Bei aller Kritik: „Die Kinder, die Jugendlichen, die ganze eva – das ist meine Familie“, sagt die junge Frau. Das Jugendhilfesystem sei das Schlimmste und das Beste was ihr widerfahren ist. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünscht sich Valeria Anselm: „Redet weniger über professionelle Distanz. Und mehr über professionelle Nähe.“ (ds)
„Das ist (nicht) mein Zuhause“ wird von der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen verlegt, kostet 10 Euro, hat die ISBN 978-3-947704-31-6 und kann über den Buchhandel bestellt werden.