Wer das Esslinger Berberdorf besucht – vor allem in den warmen Monaten – hat oft den Eindruck eines etwas abgeschiedenen, aber ansprechenden Wohnorts im Grünen. Der Neckar und die Altstadt von Esslingen sind in Sichtweite, die dichte Vegetation und das warme Holz der Hütten strömen eine wohnliche Atmosphäre aus. Wer im Winter hierher kommt, bemerkt wenig Romantik: Esslingen ist ohne Auto nur zu Fuß am Neckar entlang erreichbar, die Wege zwischen den Hütten und dem Sanitärcontainer sind lang und wenig befestigt. Seit August 2014 waren Bauarbeiter in der Wohn-Anlage der Evangelischen Gesellschaft (eva). Nun macht das Berber-„Dorf“ seinem Namen alle Ehre. Es hat eine schonende Biokläranlage statt der bisherigen Fäkaliengrube, anstatt eines Sanitärcontainers wie bisher gibt es jetzt fünf. Zwei neue Wohnhütten sind aufgestellt, das Gemeinschaftshaus ist saniert. Daneben gibt es neue Versorgungstrassen für Wasser, Heizung und Strom.
Die zwölf Doppelhütten sind jetzt rund um einen „Dorfplatz“ angelegt. Hier leben bis zu 23 Männer und Frauen, die vorher keine Unterkunft hatten und in besonderen sozialen Schwierigkeiten gelebt haben, die sie nicht aus eigener Kraft überwinden konnten. Die Männer und Frauen haben manchmal jahrelang auf der Straße oder in prekären Wohnverhältnissen gelebt. Sie sind oft frühzeitig gealtert, leiden unter körperlichen Beschwerden, sind meist suchtkrank und verfügen über keinerlei materiellen Besitz. Im Berberdorf können sie zur Ruhe kommen, ihre Situation klären und – gemeinsam mit Sozialarbeitern – neue Perspektiven entwickeln.
Hauptplatz und Sitzgruppen eingerichtet
Dafür sind die baulichen Voraussetzungen jetzt besser. Damit die Bewohner sich hier heimisch fühlen können, hat der Architekt, der die Sanierung geleitet hat, Freiräume geschaffen: Wolfgang Schwarz hat mit einfachen Mitteln einen Hauptplatz sowie kleine Plätze mit Sitzgruppen vor den Hütten eingerichtet. Die Wege vor den Containern wurden neu angelegt und mit einer einfachen Außenbeleuchtung versehen.
Eines der Ziele der Sanierung war, dass die Bewohner leichter ihrer Körperpflege nachgehen können. Dafür wurden fünf Sanitärcontainer – einer extra für Frauen – gebaut. Die fünf Container bieten, getrennt zugänglich, je eine Dusche, ein Waschbecken und eine Toilette. In einem separaten Vorraum sind zudem eine Waschmaschine und ein Trockner für die Wäsche der Bewohner der jeweiligen Hütten untergebracht. Dieses Konzept ermöglicht es, für jede „Wohngruppe“, die jeweils aus fünf bis sechs Personen besteht, sanitäre Einrichtungen mit durchschnittlichem Standard vorzuhalten. Das ist ein großer Fortschritt: Zuvor gab es für alle Bewohnerinnen und Bewohner lediglich einen einzigen Sanitärcontainer mit einer Dusche und zwei Toiletten sowie zwei einfache Chemietoiletten. Die Entfernung zum bisherigen Sanitärcontainer betrug bis zu 80 Meter, je nach Lage der Hütte. Besonders schwer ist dieser Weg Menschen gefallen, die unter massiven gesundheitlichen Problemen leiden oder psychisch belastet sind.
Kosten und Nutzen abgewogen
Bei jeder Maßnahme wurde das Verhältnis von Kosten und Nutzen abgewogen. So amortisiert sich zum Beispiel der neue Heizungsbetrieb mit Transportgas in einer absehbaren Zeit. Die Bio-Kläranlage erfordert zwar zunächst eine gewisse Investition, lohnt sich aber gegenüber einer teuren Grubenentleerung nach wenigen Jahren.
Die Bewohner haben während des Umbaus Verständnis für die Einschränkungen gezeigt, einige von ihnen haben beim Räumen von Hütten mitgeholfen. Sogar die Tatsache, dass Waschmaschinen und Wäschetrockner nur eingeschränkt verfügbar waren, stieß auf Verständnis. Wenn die Sanierung auch nicht immer leicht auszuhalten war, berichtet Hildegard Cakiqi, die seit 15 Jahren hier wohnt: „Man ist nur noch im Dreck rumgelaufen, das ist mir ziemlich auf den Geist gegangen.“ Doch „jetzt ist es toll!“
"Das ist jetzt ein völlig anderes Dorf!"
„Durch die Renovierung hat sich das Klima im Dorf geändert“, berichtet Horst Kenschner, Sozialpädagoge im Berberdorf. Die Bewohner fühlten sich inzwischen verantwortlich fürs Dorf, putzten ihre Sanitärcontainer selbst. „Das ist eine erhebliche Veränderung. Ich arbeite seit fünf Jahren hier – das ist jetzt ein völlig anderes Dorf!“
Für die komplette Sanierung waren insgesamt 460.000 Euro notwendig. 355.600 Euro sind bisher finanziert – über Spenden von Einzelpersonen und Firmen, Zuschüsse des Landes Baden-Württemberg sowie des Kommunalverbandes Jugend und Soziales. Dazu kamen eine Großspende von Daimler ProCent sowie Mittel des Diakonie-Spendenfonds und der Weihnachtsaktion der Stuttgarter Zeitung. „Wir sind allen sehr dankbar, die uns bei der Renovierung unterstützt haben“, erklärt Regine Glück, eva-Abteilungsleiterin der Dienste für Menschen in Armut und Wohnungsnot im Landkreis Esslingen. Sie hofft auf weitere großzügige Gaben, denn die fehlenden 104.400 Euro muss die eva ebenfalls über Spenden aufbringen.