Treff Sozialarbeit stellt drei innovative Konzepte vor, um sich in der Gesellschaft besser zurecht zu finden
Stuttgart. Der Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft (eva) hat sich bei seiner jüngsten Veranstaltung auf ein heiß diskutiertes Themenfeld gewagt – den Bildungsbereich. Das Motto „Bildung für alle! – Wege zur Verständigung, Befähigung und sozialen Teilhabe“ hatte schon die Richtung vorgegeben. Viele Studien haben bestätigt, dass ein guter Bildungsabschluss und damit auch die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben angemessen teilzuhaben, in Deutschland stark vom sozialen Status des Elternhauses abhängig ist.
Ganz im Sinn der Zielsetzung der Veranstaltungsreihe, innovative Konzepte vorzustellen, wurden drei Angebote präsentiert. Diese versuchen auf ungewöhnlichen Wegen, Menschen in prekären Lebenslagen, mit psychischen Problemen oder mit fehlender Grundbildung direkt anzusprechen. Den Betroffenen wird ein Rüstzeug an die Hand gegeben, mit dem sie sich in der Gesellschaft künftig besser zurecht finden und mit anderen Menschen besser kommunizieren können.
"Recovery College" mit Workshops
Da ist zum einen das „Recovery College“, an dem die eva selbst beteiligt ist. Die Idee stammt aus dem angelsächsischen Raum. Dort sind entsprechende Einrichtungen vor rund dreißig Jahren entstanden, zuerst in den USA, danach in Kanada und England. Dazu gehört das Bildungsangebot zu Themen rund um die psychische Gesundheit. Eine Plattform, auf der Menschen Erfahrungen austauschen können, die zum Beispiel eine Krise durchleben, sowie eine Möglichkeit für alle Interessierten, sich auszutauschen.
Wie ist das „Recovery College“ in Stuttgart entstanden? Im Sinne des englischen Begriffs recovery, der Erholung oder Genesung bedeutet, hat sich Anfang 2020 ein Arbeitskreis mit Expertinnen und Experten aus den Reihen der Sozialpsychiatrie gebildet. Ziel war, dass Betroffene besser mit ihrer psychischen Erkrankung umgehen können. Beteiligt haben sich vor allem Mitglieder der Initiative der Psychiatrieerfahrenen Stuttgart (IPE), der Offenen Herberge und der eva.
In der Folge wurden Workshop-Angebote erarbeitet, die im vergangenen Sommer erstmals erprobt wurden. Das Herbst-/Wintersemester 2022/23 war der erste reguläre Arbeitsabschnitt. „Achtsam in Bewegung kommen“ ist einer von 14 Kursen im gerade laufenden Sommersemester, bei denen jeweils vier bis zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer dabei sind. „Die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren bisher durchweg positiv“, berichtete Sylvia Fahr-Armbruster, die von einer steigenden Tendenz bei der Teilnahme berichtet. Sie ist eine von drei hauptamtlichen Kräften und freut sich, dass das Projekt seit 2021 für fünf Jahre von Aktion Mensch gefördert wird.
Straßen-Universität: aufsuchende Bildungsarbeit
Ebenfalls seit 2021 wird ein weiteres Teilhabe-Projekt in Stuttgart für fünf Jahre von der Aktion Mensch gefördert. Es ist die Straßen-Universität, initiiert vom Sozialunternehmen Neue Arbeit, einem Unternehmen der eva-Gruppe. Die Straßen-Universität hat sich der aufsuchenden Bildungsarbeit verschrieben: Bildung für alle und mit allen. Die Zielgruppe umfasst Menschen in prekären Lebensverhältnissen, die zum Beispiel keinen festen Wohnsitz haben. Dabei gilt es auch Räume zu finden, in denen diese Personen zusammenkommen können.
Wichtig ist, die Betroffenen direkt anzusprechen und persönliche Beziehungen aufzubauen, erläuterte Hannah Gröner von der Neuen Arbeit. Die Semesterprogramme sind für alle Altersgruppen gedacht. Im Juli und August gibt es unter anderem Kickboxen für Teenies oder für Jung und Alt, Freies Zeichnen, Hatha-Yoga für alle oder für Eltern und Kinder. Es wird auch gemeinsam gekocht.
Grundbildungszentrum: Kompetenzen bei Lesen, Schreiben und Mathematik
In Deutschland gibt es laut Erhebungen 6,2 Millionen Menschen mit einer Lese- und Schreibschwäche. Das hat die Volkshochschule Stuttgart veranlasst, ein Angebot für Betroffene zu schaffen, die nur einfache Sätze lesen und schreiben können. 2018 sind in Baden-Württemberg die ersten Grundbildungszentren entstanden. 2022 startete das Grundbildungszentrum der vhs Stuttgart. Bis 2024 ist eine 40-prozentige Förderung über das Kultusministerium gesichert. Pro Jahr werden bei gebührenfreien Kursen mit einem knappen Dutzend Dozentinnen und Dozenten bis zu fünfzig Personen erreicht.
Zu den Aufgaben gehört, die Grundkompetenzen im Lesen und Schreiben sowie in Mathematik zu stärken. Weitere Angebote sollen die Teilhabe in wesentlichen Bereichen in Gesellschaft und Beruf sichern. Dazu gehören digitale Medien, Gesundheit, Politik, Finanzen, Ökologie oder Ernährung. Auch in den Stadtteilen und Quartieren werden Kurse angeboten. „Diese laufen sehr gut“, bekräftigte Wolfgang Nagel, der für das Angebot bei der vhs zuständig ist. Es gehe auch darum, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und Netzwerke zu bilden. (ang)