Wo liegen die jeweiligen Aufgabenbereiche von Sozialer Arbeit und Psychotherapie und in welcher Wechselbeziehung stehen die beiden Disziplinen?
Stuttgart. Über dieses mitunter schwierige Miteinander hat der Diplom-Psychologe Prof. Dr. Thomas Heidenreich beim Treff Sozialarbeit der eva am 23. November mit dem Fachpublikum diskutiert.
Es waren einmal ein Eichhörnchen und ein Maulwurf, die sich eines schönen Tages begegnen und nach kurzer Zeit zu streiten beginnen. Was bist du nur für ein oberflächliches Wesen, sagt der Maulwurf. Wie kann man nur so bedenkenlos und schnell von Ast zu Ast springen. Von den Wurzeln des Lebens und Tiefe hast du keine Ahnung. Das musst ausgerechnet du sagen, lichtscheuer Geselle, entgegnet das Eichhörnchen. Ich wühle mich wenigstens nicht in schmutziger Dunkelheit durch unnötige Gänge. Du dagegen hast keine Ahnung von der unendlichen Weite der Erdoberfläche, der Schönheit des Himmels und der Größe der Bäume.
Diese Fabel, die der Moderator Daniel Rezanek beim Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft am 23. November zur Einstimmung auf das Thema erzählte, beschreibt auf humorvolle Weise das durchaus schwierige Verhältnis zwischen zwei Fachdisziplinen, die beide eine lange Tradition als zentrales Unterstützungsangebot für Menschen in schwieriger psychosozialer Lage haben und dabei in enger Wechselbeziehung stehen. Auf der einen Seite die Soziale Arbeit, die in der Fabel die Rolle des Eichhörnchens hat. Auf der anderen die Psychotherapie, vertreten durch den Maulwurf. Die Kunst und der Anspruch liege gleichermaßen darin, aus der eigenen Perspektive die jeweilige Kompetenzen der anderen Disziplin zu erkennen und abzurufen, so Prof. Dr. Thomas Heidenreich, der als Diplom-Psychologe und Prodekan der Hochschule Esslingen an der Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege als eine Art verbindendes Glied zwischen den beiden Fachbereichen fungiert.
Schwierig, eine reibungslose "Übergabe" hinzubekommen
Seit zwölf Jahren doziert Heidenreich an der Hochschule, zu seinen Schwerpunkten im Forschungsbereich gehören unter anderem Kognitiv-behaviorale Ansätze in der Beratung. Gleichzeitig hat er als Psychologe insbesondere im Bereich der Verhaltenstherapie in verschiedenen Kliniken zahlreiche Patienten betreut und dabei oft mit Sozialarbeitern zusammengearbeitet, wie er sagt. „Viele Menschen mit einer Psychose oder psychosomatischen Störung sind zunächst einmal ein Fall für die Sozialarbeit, weil sie sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden und vieles aus dem Ruder gelaufen ist“, sagt er. Vor einer Therapie müssten in solchen Fällen zunächst die dringlichsten Alltagsangelegenheiten geordnet werden. Oftmals sei es aber schwierig, so Heidenreichs Erfahrung aus der Praxis, eine reibungslose und unkomplizierte „Übergabe“ an den Bereich Soziale Arbeit hinzubekommen.
Umgekehrt ist es dagegen vielfach so, dass sich Sozialarbeiter gegenüber Ärzten und Psychologen häufig wie bessere Hilfskräfte vorkommen, die allenfalls zum Ausfüllen von Formularen gut sind, wie eine Zuhörerin beklagt, die seit vielen Jahren beim Caritasverband arbeitet. Gleichwohl würden von Sozialarbeitern viele Kenntnisse über andere Disziplinen und Fachbereiche verlangt werden, um die Klienten bei Bedarf an die richtige Einrichtung weitervermitteln zu können. Das Wissen über die Methoden, Ansätze, Aufgaben und Möglichkeiten der Sozialarbeit seien andersherum dagegen eher bescheiden, so die Zuhörerin: „Das ist keine Begegnung auf Augenhöhe.“ Auch eine zuverlässige institutionelle Kooperation, so ein anderer Einwand aus dem Publikum, würde weitgehend fehlen. „Die jeweiligen Institutionen arbeiten meist vollkommen unabhängig voneinander.“
Ähnlichkeiten in Herangehensweise und Methoden
Wo überlappen sich die beiden Bereiche, wo sind die Unterschiede? Sowohl die Soziale Arbeit als auch die Psychotherapie sind gesellschaftlich organisierte und professionell realisierte Hilfen zur Vermeidung, Linderung, Beseitigung oder Bewältigung menschlichen Leidens. Beide Disziplinen haben eine lange Tradition. Ähnlichkeiten in den Methoden und der Herangehensweise seien schon deshalb gegeben, so Heidenreich, weil der Fachbereich Soziale Arbeit während der Hochphase der Psychotherapie entwickelt und professionalisiert wurde. Daher seien viele Ansätze und Erkenntnisse in die Gestaltung der Sozialarbeit eingeflossen. Ein Indikator dafür sei, dass viele Sozialarbeiter eine therapeutische Weiterbildung machen würden, insbesondere im Kinder- und Jugendbereich. „Wenn man Soziale Arbeit studiert, bekommt man viel theoretisches Wissen über Psychotherapie vermittelt“, so Heidenreich. „Wer Psychotherapie studiert, hat dagegen meist keinen Kontakt zum weiten Feld der Sozialen Arbeit.“
Fundierte Einblicke in die jeweiligen Berufskompetenzen zu haben, zu verstehen, „was die anderen machen“, wäre indessen zielführend und sinnvoll, betont der Professor. Zwar könne auch ein Psychotherapeut nach Wegen aus der Wohnungsnot suchen und ein Sozialarbeiter einen Borderline-Patienten mit selbstverletzenden Tendenzen therapieren. Der bessere und richtigere Weg in beiden Fällen sei aber, die „Beschränktheit der eigenen Kompetenzen zu erkennen und Kollegen anderer Disziplinen heranzuziehen“. Die Soziale Arbeit mit ihren vielen Fachkräften sei dabei oftmals der Türöffner zur Psychotherapie und zu weiteren Angeboten, „ein Motivationsaufbau für weiterführende Behandlungen“, so Heidenreich, der die meisten Ähnlichkeiten im Bereich der Ressourcenaktivierung sieht, die bei beiden Disziplinen ein zentraler Ansatz ist. Wichtig sei, „dass die Soziale Arbeit ihr eigenes Profil behält und nicht zur kleinen Schwester der Psychotherapie wird“.
geplante Reform der Psychotherapeutenausbildung
Zum Abschluss der lebhaften Diskussion, an der sich überwiegend Sozialpädagogen beteiligten, unternahm Thomas Heidenreich dann noch eine Exkursion in die aktuelle gesetzliche Entwicklung: Dem Arbeitsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für ein Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung, in dem unter anderem konkrete Vorstellungen für neue Zugangsregelungen und ein eigenständiges Psychotherapiestudium mit anschließender Weiterbildung formuliert sind. Das Für und Wider einer solchen Reform sorgt derzeit für kontroverse Debatten unter den Experten. Ob das Gesetz so beschlossen wird und welche Folgen damit verbunden wären, müsse sich aber erst noch weisen, so Heidenreich, der im Falle einer Umsetzung schon mal eine Prognose wagt: „Dann wird der Zugang zu Sozialer Arbeit und Psychotherapie schwieriger als bisher.“