Die Intuition als Denkwerkzeug im Berufsalltag war Thema beim Treff Sozialarbeit der eva
Ein Zollbeamter hat intuitiv den „richtigen Riecher“: Er winkt genau das Auto raus, in dem zwei Millionen Schwarzgeld versteckt sind. Die Entscheidung trifft er in dem Bruchteil einer Sekunde. Später wird er sagen: „Ich wusste nur, dass an dem Auto irgendetwas nicht stimmte.“ Wer intuitiv das Richtige tut, weiß oft gar nicht genau, warum. Aber wer sich auf sein Bauchgefühl verlässt, kann auch komplett daneben liegen. Wann ist Intuition im Berufsalltag hilfreich? Und wann führt sie in die Irre? Beim Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft (eva) am 14. März brachte der Diplom-Psychologe Dr. Hans Utz Licht ins Dunkel. Er machte deutlich, dass man sich eine sachkundige Intuition hart erarbeiten muss. Und dass der Mensch grundsätzlich dazu neigt, voreilige Schlüsse zu ziehen.
Das menschliche Gehirn hat grundsätzlich zwei Denkarten. Um den Unterschied anschaulich zu machen, stellte Hans Utz eine – auf den ersten Blick – einfache Rechenaufgabe: Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Dollar. Der Schläger kostet einen Dollar mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball? „Wenn sie jetzt intuitiv 10 Cent sagen, dann müssen sie sich wegen dieser kognitiven Niederlage nicht schämen“, sagte Utz mit einem Lächeln. „Die richtige Antwort ist 5 Cent.“ Laut Utz denkt unser Gehirn bevorzugt im „Eco-Modus“ – dem Modus der Intuition. „Dieses Denksystem 1 arbeitet automatisch und weitgehend mühelos“, so Utz. Es ist aber leider auch recht fehleranfällig. Wer bewusst und intensiv über eine Aufgabe nachdenkt, brauche mehr Zeit und mehr Energie, mache aber auch weniger Fehler. Dieses Denksystem 2 sei die Grundlage, um rationale Urteile und Entscheidungen zu treffen.
Intuition ist Wiedererkennen
Wer aber oftmals intuitiv richtig liegt, der hat sein Gehirn so trainiert, dass sein Denksystem 2 in bestimmten Bereichen in das Denksystem 1 integriert ist. Denn grundsätzlich beruht Intuition auf Informationen, die in unserem Gedächtnis gespeichert sind und in bestimmten Situationen spontan und teilweise unbewusst wieder abgerufen werden. Das hierfür wichtige Wissen kommt über zwei unterschiedliche Wege in unsere Köpfe: Auf der einen Seite steht das emotionale Lernen. „Dies ist eine der mächtigsten Formen des Lernens, weil es unbewusst geschieht, nicht steuerbar ist und das Erlernte nachhaltig abgespeichert wird“, so Utz. So kann der schmerzhafte Zahnarztbesuch als Kleinkind schon längst vergessen sein. Und dennoch bekommt man als Erwachsener immer noch Schweißausbrüche bei dem Geräusch eines Bohrers, ohne dass man sich die eigene Angst so recht erklären kann.
Für die sachgerechte Intuition ist jedoch ein anderes Wissen relevant und zwar das Erfahrungswissen, das wir uns durch zeitintensives Üben aneignen. Wer über Jahre hinweg täglich mehrere Stunden Schach spielt, hat in seinem Langzeitgedächtnis irgendwann tausende von Spielzügen und Konfigurationen gespeichert. Nur deshalb ist es möglich, dass ein Schachgroßmeister nach einem kurzen Blick auf eine Spielpartie voraussagt: „Weiß ist in drei Zügen matt!“ Doch damit dieses Expertenwissen zur Grundlage sachgerechter Intuition werden kann, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Hierzu gehört etwa eine Lernumgebung, die berechenbar ist und in der bestimmte Regeln gelten. „Wichtig ist auch, dass man ganz unmittelbar ein eindeutiges Feedback bekommt“, so Utz. Denn aus Fehlern werde man nur dann klug, wenn diese immer wieder reflektiert und korrigiert werden.
Fachstudium kann Berufspraxis nicht ersetzen
Auch Fachleute in der Sozialen Arbeit brauchen viele Jahre praktische Berufserfahrung, bis sie ein umfassendes Expertenwissen aufgebaut haben. „Indem sie täglich mit Klienten umgehen, speichern sie vielfältige Interaktionserfahrungen ab“, so Utz. In schwierigen Situationen mit neuen Klienten können sie dann darauf zurückgreifen und scheinbar „erahnen“, was zu tun ist. „Daran sieht man, wie wichtig das Expertenwissen aus der Praxis ist“, so Utz. Entsprechend seien praktische Berufserfahrung und Fachstudium gegenseitig nicht ersetzbar. „Beides gehört zusammen.“
Problematisch wird Intuition jedoch dann, wenn sie dazu verleitet, voreilige Schlüsse zu ziehen. In der Fachliteratur ist dieses Phänomen als WYSIATI-Regel bekannt: What you see is all there is. Frei übersetzt lassen wir uns dabei von der Maßgabe leiten: Nur was ich gerade weiß, zählt. Als Beispiel erzählte Hans Utz von einer Schulsozialarbeiterin, die ihren neuen Praktikanten Pablo aus Brasilien in einer Supervision als „Schlitzohr“ bezeichnete. Denn Pablo sei zwar freundlich und zuvorkommend. Als sie ihn jedoch gebeten habe, in der Schule einen kurzen Vortrag über das Leben in Brasilien zu halten, habe er lächelnd abgelehnt. Aus ihrer Sicht ist die Sache klar: Pablo ist faul und hat keine Lust, sich zu engagieren. Da sie ihr Urteil voreilig gefällt hat, hat sie ein entscheidendes Detail übersehen: Pablo spricht schlecht Deutsch und lächelt seine sprachliche Unsicherheit einfach weg.
„Arbeiten Sie also bei beruflichen Problemstellungen immer heraus, was Sie wissen und vor allem auch, was Sie nicht wissen“, so Utz. Um der intuitiven „Gewissheitsfalle“ zu entgehen, müsse man sich stets die eigenen kognitiven Verzerrungen bewusst machen und sich zwingen, die Fakten auch von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten. „Häufig ist man ja so in seine Idee verliebt, dass keiner diese mehr kritisieren darf“, so Utz. „Das kann schnell in die Irre führen.“