Bundesweit einziges flächendeckendes Angebot an Werkreal- und Gemeinschaftsschulen ist gefährdet – Ende 2019 läuft Co-Finanzierung für Stuttgarter Berufseinstiegsbegleitung aus – Träger und Arbeitsagentur hoffen auf höheres finanzielles Engagement der Stadt anstelle fehlender Mittel aus Europäischem Sozialfonds
Stuttgart. Wer die aktuellen Lehrstellen-Statistiken liest, erhält den Eindruck, dass jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhält – wenn er nur will. Viele der leistungsschwächeren Werkreal- und Gemeinschaftsschüler haben allerdings keine realistische Chance auf einen Ausbildungsplatz. Damit sich das ändert, gibt es in Stuttgart seit zehn Jahren die Berufseinstiegsbegleitung (BerEb). Die sozialen Fachkräfte des Projekts begleiten die Werkreal- und Gemeinschaftsschüler von der Schule in eine betriebliche Ausbildung. 2009 hat das Projekt mit acht sozialen Fachkräften begonnen, heute ist das Netz der Berufseinstiegsbegleiter in der Landeshauptstadt bundesweit das einzige, das flächendeckend an allen Werkreal- und Gemeinschaftsschulen so ein Angebot vorhält.
Der Caritasverband, die Evangelische Gesellschaft (eva) und die Jugendhausgesellschaft haben ihr Angebot 2009 zunächst nur an einzelnen Schulen in Stuttgart gemacht, mittlerweile gibt es die Berufseinstiegsbegleitung an allen Werkreal- und Gemeinschaftsschulen im Stadtgebiet. 2018 haben 37 soziale Fachkräfte, Meister sowie Fach- und Führungskräfte mit Erfahrung aus der freien Wirtschaft in dem Projekt 423 Jugendliche betreut.Dafür unterstützen die BerEb-Fachkräfte die Jugendlichen bei der Berufswahl sowie der Suche nach Praktikumsstellen und vermitteln ihnen Nachhilfe. Sie helfen beim Erstellen von Bewerbungen und bereiten die Schülerinnen und Schüler auf Bewerbungsgespräche vor.
Daneben versuchen die Berufseinstiegsbegleiter, Betriebe davon zu überzeugen, auch leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chance zu geben. Der Vorteil für die Betriebe: Sie werden in den ersten sechs Monaten einer Ausbildung unterstützt, um die Jugendlichen im Ausbildungsverhältnis zu stabilisieren. Wenn es Schwierigkeiten gibt, stehen die sozialen Fachkräfte dem Betrieb als Ansprechpartner zur Verfügung.
„Das ist das Besondere an diesem Projekt: Wir begleiten die Jugendlichen in die Ausbildung hinein, um einen Abbruch innerhalb des ersten halben Jahres zu vermeiden“, sagt Cathrin Maier, die das Projekt koordiniert. Die Zahlen zeigen, wie wichtig das ist: Im Jahr 2018 haben in Stuttgart nach Angaben des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg 19,6 Prozent der Auszubildenden ihre Ausbildung frühzeitig abgebrochen. Die Gründe dafür reichen von der unzureichenden Ausbildungsfähigkeit der jungen Menschen über falsche Vorstellungen über den Beruf bis hin zur Insolvenz des Betriebes.
Im Moment wird die Berufseinstiegsbegleitung von der Agentur für Arbeit Stuttgart, der Stadt Stuttgart und dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Die Ko-Finanzierung durch den Europäischen Sozialfonds läuft in diesem Jahr aus. Deshalb stellt sich Ende 2019, wenn der Gemeinderat den Doppelhaushalt beschließt, die Frage, ob die Stadt Stuttgart dieses besondere Angebot noch stärker unterstützen möchte. Wenn es nach der Agentur für Arbeit Stuttgart und den freien Trägern geht, auf jeden Fall. Peter Klausen, Teamleiter der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Stuttgart, hierzu: „Die Zusammenarbeit zwischen unseren Beraterinnen und Beratern und den BerEb-Fachkräften steht nicht in Konkurrenz, sondern ergänzt sich vielmehr. Die Erstberatung liegt nach wie vor bei die Berufsberaterinnen und -beratern der Agentur für Arbeit. Die ohnehin hohe Kontaktdichte zwischen den Ausbildungssuchenden und den Beratern wird durch die BerEb-Fachkräfte zusätzlich intensiviert und nachgehalten. Dabei informieren sie die Berufsberaterinnen und -berater laufend über den aktuellen Stand im Bewerbungsprozess der Ausbildungssuchenden.“
Und auch die begleiteten Jugendlichen haben dazu eine eindeutige Meinung, wie die 17-jährige Azra: „Ohne Berufseinstiegsbegleitung würde ich nicht wissen, wie es weitergehen soll. Ich habe echt sehr viel dazu gelernt und ich nehme auch sehr viel für die Zukunft mit – zum Beispiel Computeranwendungen oder wie man Bewerbungen schreibt und noch vieles mehr. Ich finde es toll, dass es so was gibt! Es macht Spaß und bringt mich weiter.“