Jugendliche organisieren eigenes Café, Events und Exkursion ins KZ Dachau, statt zu chillen – dreijähriges eva-Projekt „PatEx“ hat Halbzeit hinter sich
Stuttgart. Jugendliche hören laute Musik, spielen und hängen ab, um zu chillen – das ist von Erwachsenen immer wieder zu hören. Dass es auch ganz anders laufen kann, zeigt das Projekt „PatEx“ der Evangelischen Gesellschaft (eva). Es spricht seit 2017 Jugendliche in Stuttgart-Botnang an. Die jungen Menschen organisieren nicht nur fast selbstständig ein Café, sondern auch verschiedene Events, sie waren miteinander im KZ Dachau und planen gerade eine weitere große Exkursion.
Das ist eine der Besonderheiten von „PatEx“. Eine andere ist, dass das dreijährige Projekt seit September 2017 unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen anspricht, die vorher wenig miteinander zu tun hatten: Solche, die wenig im Stadtteil integriert sind, andere, deren Familien schon lange hier wohnen und die gut vernetzt sind. Und als dritte Gruppe junge Menschen, die hier in einer Flüchtlings-Unterkunft wohnen und die vor dem Projekt wenig Kontakt zu anderen Stuttgarter Jugendlichen hatten.
Anil Basli hat das Jugendcafé von PatEx von Beginn an besucht. Hier gestaltet er gemeinsam mit anderen jungen Menschen jeden Montag von 18 bis 21 Uhr ein Café für Jugendliche. Sie nutzen dafür Räume des Familien- und Nachbarschaftszentrums (FuN). Sie gestalten selbst mit, was an Essen und Getränken angeboten wird, welche Themen und Angebote es gibt. Der Thekendienst sorgt in zwei Schichten von je zwei Stunden für das leibliche Wohl der Jugendcafé-Besucher. Vom Eintragen in die Schichtpläne über den Einkauf, die Vor- und Nachbereitung des Cafébetriebs organisieren sich die Jugendlichen mittlerweile fast selbstständig.
Im großen Gruppenraum gibt es zeitgleich die Möglichkeit, an wöchentlich wechselnden, gemeinsamen Aktionen teilzunehmen, die die Jugendlichen – unterstützt von den sozialen Fachkräften – selbst organisieren. Das reicht vom Tischtennis-Turnier über gemeinsames Kochen und Backen, Darts- und Brettspiele bis hin zu „play your song“, wenn die Jugendlichen abwechselnd mit ihrer eigenen Musik für Stimmung sorgen. Jede Woche besuchen zwischen 8 und 15 Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren das Jugendcafé.
Neben dem Café planen die Jugendlichen gemeinsam mit den sozialen Fachkräften Aktionen. Sie haben während der Fußball-WM 2018 gemeinsam Spiele angeschaut, das muslimische Fastenbrechen Iftar gefeiert und an einem Nacht-Fußballturnier teilgenommen.
Zehn von ihnen haben in den Herbstferien 2018 mit vier Betreuerinnen und Betreuern die Gedenkstätte des Konzentrationslagers in Dachau besucht. Seit sie einen Film zum Nationalsozialismus gesehen hatten, beschäftigte sie das Thema. Sie wollten mehr darüber erfahren. Nach den Sommerferien 2018 haben die „PatEx“-Mitarbeitenden die Montage im Jugendcafé dazu genutzt, den Besuch der Gedenkstätte in Dachau inhaltlich vorzubereiten. Demokratie, Menschenrechte, Nationalsozialismus in Deutschland, Meinungs- und Religionsfreiheit, aber auch die heutige gesellschaftliche und politische Situation in Deutschland waren Themen. Diskutiert haben die Exkursions-Teilnehmenden auch, was Flucht bedeutet und welche Folgen sie hat. Wie fühlt es sich an, in neuen, fremden Lebenswelten anzukommen? Wie lässt sich das bewältigen?
Für Anil war die Exkursion ins KZ Dachau bisher der Höhepunkt des PatEx-Projekts. Für ihn sei wichtig, die Geschichte zu kennen, sagt er – „um daraus zu lernen, damit sie sich nicht wiederholt“. Prince Ashie, ein weiterer regelmäßiger Besucher von PatEx, erzählt, die Erfahrungen aus der Dachau-Exkursion hätten ihm in der Schule geholfen.
Der 15-Jährige hat den Anstoß für die nächste Exkursion gegeben. Eigentlich wollte Prince mit den anderen Jugendlichen nach Brüssel fahren, um dort mehr über die Europapolitik zu erfahren. Da die Jugendlichen mit Fluchterfahrung, die das Café besuchen, Deutschland nicht einfach verlassen dürfen, ist es allerdings nicht möglich, über die Grenze zu fahren. Deshalb geht die nächste Exkursion in den Herbstferien nach Berlin. Die Stuttgarter Jugendlichen wollen beim Austausch mit Jugendlichen vor Ort erfahren, was die jungen Menschen in der Bundeshauptstadt beschäftigt. Darüber hinaus ist eine alternative Stadtführung geplant, bei der ein Jugendlicher mit Fluchterfahrung den Stuttgarter Jugendlichen Berlin aus seiner Sicht näherbringt.
Ziel des Projekts „PatEx“ war, dass die verschiedenen Jugendgruppen im Stadtteil von einem „Nebeneinander“ zu einem „Miteinander“ gelangen. Sie sollten Verständnis für die jeweiligen – oft schwierigen – Lebenslagen der anderen entwickeln. Das hat geklappt. Die Jugendlichen, die selbst von Ausgrenzung bedroht sind, haben bei ihrer Exkursion nach Dachau gemeinsam etwas über die Ausgrenzung von Menschen bis hin zum Völkermord erfahren. Gleichzeitig haben sie viel über Menschenwürde und die Grundsätze menschlichen Zusammenlebens gelernt.
Die dritte Gruppe Jugendlicher, die schon lange im Stadtteil leben, hier (familiär) verwurzelt und gut vernetzt sind, wurden zwar in zwei Aktionen erreicht; dort sind sie aber unter sich geblieben. Bisher gehören sie nicht zu den Café-Besuchern. Die Projekt-Mitarbeitenden werben weiter in den Kirchengemeinden, bei Konfirmanden- und Firm-Nachmittagen für das Projekt.
Anil Basli findet es wichtig, dass hier junge Menschen einander kennenlernen. Doch er sieht sie nicht als Zugehörige verschiedener Gruppen. „Ich treffe hier Jugendliche, die ich vorher nicht gekannt habe. Und sie sind meine Freunde geworden“, sagt der 15-Jährige.