Alter und verengte Perspektiven sind zentrale Themen bei den Stuttgarter TelefonSeelsorge-Stellen
Wenn Menschen älter werden oder schwer erkrankt sind, werden ihnen oftmals viele Dinge schmerzlich bewusst: Dass sie einmal sterben müssen und ihre Lebensträume vielleicht nicht mehr erfüllt werden. Manche blicken zurück auf eine gescheiterte Ehe oder eine berufliche Karriere, die zerbrochen ist. Wie soll man damit umgehen, wenn sich die Perspektiven im Leben verengen? Diese Frage beschäftigt viele Anrufende der TelefonSeelsorge. Davon haben die beiden Stuttgarter Stellen am 4. September berichtet und ihre Jahresberichte 2012 vorgestellt.
Hartz IV, Einsamkeit, Krankheit
Frau K. (Name geändert) ist Mitte 50. Durch eine chronische Erkrankung kann sie immer weniger unternehmen. Sie kann kaum noch gehen, braucht für alltägliche Dinge quälend viel Zeit. Krischan Johannsen, Leiter der evangelischen TelefonSeelsorge in Stuttgart, spricht gerne mit ihr. Neulich hat sie ihm am Telefon erzählt, dass sie auf dem Weg zu ihrer Wohnung gestürzt und bewusstlos geworden ist. Als sie im Krankenhaus erwachte, wurde ihr klar, dass jemand auf der Straße ihre Tasche mit den wenigen Einkäufen, dem Behindertenausweis und vor allem mit ausgeliehenen Büchern gestohlen hat. An ihrer Sprache erkennt man die weitgereiste, habilitierte Literaturwissenschaftlerin. Sie lebt heute allein von Hartz IV und hat niemanden, der sie im Alltag unterstützt. Sie ist sehr einsam. Dennoch versucht sie, sich ihre Würde und ihren Humor zu bewahren. Manchmal ist sie nahe dran, sich das Leben zu nehmen – und doch bleibt sie da, schreibt hier und da, malt ein wenig. Bilder und Texte bekommt niemand zu sehen. Da ist niemanden, dem sie sie zeigen möchte. Zu schlecht sind ihre Erfahrungen und Mitleid will sie nicht.
Solche Beispiele kennt auch Thomas Krieg von der katholischen TelefonSeelsorge „Ruf und Rat“. Vielen Menschen fällt es schwer, ihrem Leben trotz eingeschränkter Möglichkeiten einen Sinn zu geben. Sie warten darauf, dass von Außen etwas Sinngebendes, Glückbringendes, Heilendes geschieht – und warten meist vergebens. Wer jung ist, kann die quälende Suche nach dem Sinn durch Aktivismus betäuben. Später im Alter nützt das nichts mehr. Weil das schwer zu ertragen ist, fühlen sich viele Anrufenden ohnmächtig und erschöpft. Wenn dann ein Umzug in ein Altersheim droht, spüren viele eine tiefe Trauer und den verzweifelten Wunsch, am Hergebrachten festzuhalten, auch wenn eigentlich schon lang nichts mehr klappt. Anrufende mit solchen Themen zu begleiten, verlangt den ehrenamtlichen Telefonseelsorgern einiges ab. Derzeit sind es 151 Frauen und Männer, die für beide Stellen aktiv sind. Sie können die Sorgen der Anrufenden gut verstehen. Viele von ihnen sind selbst „Jungsenioren“ oder auch schon etwas älteren Semesters. In der durchaus anstrengenden und anspruchsvollen Beratungsarbeit finden viele Telefonberater Sinn und Erfüllung für ihr eigenes Leben.
TelefonSeelsorge rund um die Uhr erreichbar
Beide TelefonSeelsorgen stellen ihren Dienst für Stuttgart und die Region rund um die Uhr an allen Tagen des Jahres zur Verfügung. Im vergangenen Jahr haben die Ehrenamtlichen zusammen rund 6000 Dienstschichten geleistet – jede zwischen vier und zehn Stunden lang. Die Zahl der Anrufe lag bei rund 51.000 – daraus ergaben sich etwa 40.000 ernsthafte Gespräche. Dabei fällt eines deutlich ins Auge: Die Zahl der älteren Anrufenden über 70 Jahren nimmt im Laufe der vergangenen Jahre kontinuierlich zu, während immer weniger Kindern und Jugendlichen anrufen. Die Jüngeren nutzen vielmehr zunehmend das Angebot der Chat- und Mailberatung. Für die Mitarbeitenden hat dies den Vorteil, dass die Zahl der Scherzanrufe von Jugendlichen abgenommen hat.
Die häufigsten Themen in den Gesprächen sind Ängste, Einsamkeit und Beziehungsprobleme, die in vielfältigen Zusammenhängen auftauchen. Oft beziehen sich die Ängste auf konkrete Situationen wie Krankheit, Trennung oder Verlust des Arbeitsplatzes. Schwieriger wird es für die Anrufenden, wenn ihre Ängste und die Einsamkeit chronisch geworden sind – etwa aufgrund einer seelischen Erkrankung oder eines körperlichen Gebrechens. Hier hat die TelefonSeelsorge die manchmal mühsame Aufgabe, den Anrufenden über lange Zeit Halt und Stütze zu geben, ohne dass positive Veränderungen sichtbar werden. Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden beider Stellen bringen viel Geduld mit und hören auch dann noch zu, wenn das sonst keiner mehr tun will.
In der Mailberatung und im Chat sind die Ratsuchenden nicht nur deutlich jünger, sondern die Themen sind auch brisanter. Zwar liegen auch hier Depressionen und Sorgen um die Partnerschaft mit über 30 Prozent an erster Stelle. Aber mehr als jeder zehnte Hilfesuchende spricht das Thema Suizid an – oft in einer erschreckenden Heftigkeit. Wie am Telefon bleibt auch im Chat manchmal nur die Kraft einer sorgfältigen, annehmenden und ehrlichen Sprache, die einen Menschen am Leben halten kann.
Info-Abend zur TelefonSeelsorger-Ausbildung am 10. September
Beide Stuttgarter TelefonSeelsorge-Stellen bilden regelmäßig neue Ehrenamtliche aus. Die nächste Ausbildung bei Ruf und Rat beginnt 2014; der Informationsabend für die nächste Ausbildung bei der evangelischen TelefonSeelsorge Stuttgart findet am 10. September um 18 Uhr im Haus der Diakonie der Evangelischen Gesellschaft (eva), Büchsenstraße 34/36, statt.