Besuchsdienst der Evangelischen Gesellschaft überzeugt die Jury in der Kategorie „Nachhaltigkeit“
Stuttgart. Annemarie Heymer (Namen sind geändert) hätte nie gedacht, dass es Menschen gibt, die einfach so zuhören. Gerhard Preis von der Vierten Lebensphase der Evangelischen Gesellschaft (eva) ist genau so ein Mensch. Ein Mal pro Woche kommt der ehrenamtliche Mitarbeitende nach Feierabend bei der 78-Jährigen auf ein Schwätzchen vorbei. Zusammen lösen sie Kreuzworträtsel, trinken Tee. Diese zwei Stunden sind für Annemarie Heymer ein wichtiger Anker. Sie lebt allein, aufgrund ihrer Depressionen hat sie sich mehr und mehr zurückgezogen und verlässt kaum noch das Haus. Ältere, einsame Menschen wie Anna Heymer durch regelmäßige Kontakte zu unterstützen: Dies ist seit fast 20 Jahren das Ziel des Besuchsdienstes. Das Konzept hat auch die Jury des Stuttgarter Bürgerpreises überzeugt. Sie kürte den Besuchsdienst Vierte Lebensphase in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ am 29. Januar neben dem Projekt „Stolpersteine für Stuttgart“ zum Gewinner. „Das ist eine große Auszeichnung und Wertschätzung für unsere langjährige Arbeit“, sagt Martin Schneider, zuständiger eva-Bereichsleiter. „Und wir fühlen uns bestätigt, auf diesem Weg kontinuierlich weiterzugehen.“
Im Jahr 2000 war die Vierte Lebensphase als Bundesmodellprojekt – zunächst für drei Jahre – gestartet. Von Beginn an war deutlich: Die Nachfrage nach dem Angebot ist groß und sie wird – aufgrund der demografischen Entwicklung – weiter steigen. Ebenso groß ist seither das bürgerschaftliche Engagement, das bei dem Dienst im Mittelpunkt steht: Seit Gründung haben sich über 300 Frauen und Männer ehrenamtlich im Besuchsdienst engagiert. Aktuell leisten etwa hundert Freiwillige insgesamt 8800 Besuchsstunden im Jahr. Jeder einzelne schenkt einem älteren Menschen in Stuttgart einmal in der Woche zwei Stunden seiner Zeit. „Auf ihren Einsatz werden alle Ehrenamtlichen mit einer intensiven Fortbildung vorbereitet, die 40 Stunden umfasst“, sagt Ingrid Braitmaier, eine der hauptamtlichen Mitarbeitenden. Dabei geht es um Themen wie personzentrierte Gesprächsführung und aktives Zuhören, aber auch um mögliche seelische Veränderungen im Alter wie Demenz oder Depressionen.
Annemarie Heymer fällt es schwer, ihren Alltag zu bewältigen. Gerne würde sie mal wieder einen Spaziergang durch den nahegelegenen Park machen, aber sie kann sich allein nicht aufraffen. Sie fühlt sich antriebslos und erschöpft. Ihr ehrenamtlicher Besucher Gerhard Preis kann mit solchen Beeinträchtigungen umgehen. „Bei der Schulung haben wir Tipps bekommen, wie wir auf die älteren Menschen eingehen und sie motivieren können.“ Hat er eine Frage, kann er jederzeit bei Ingrid Braitmaier und ihren beiden Kollegen anrufen. Gerne nutzt Gerhard Preis auch die Möglichkeit, sich einmal im Monat mit den anderen Ehrenamtlichen zu treffen und sich über die Erfahrungen bei den Besuchen auszutauschen.
„Der Besuchsdienst Vierte Lebensphase leistet einen wichtigen Beitrag gegen Einsamkeit im Alter“, sagt eva-Vorstandsvorsitzender Klaus Käpplinger. „Wir freuen uns sehr über den Bürgerpreis, denn er zeigt, dass dieses wichtige Thema in der Gesellschaft angekommen ist.“
Mit dem Preisgeld von 5000 Euro kann das Angebot nochmal erweitert werden. „Und wir möchten es auch dazu nutzen, den Kontakt zu unseren Ehrenamtlichen zu pflegen“, sagt Ingrid Braitmaier. „Denn ohne sie könnten wir diese wichtige Arbeit nicht leisten.“
Stuttgarter Bürgerpreis
Der Stuttgarter Bürgerpreis wurde in diesem Jahr zum neunten Mal vergeben. Aus über 70 Bewerbungen wählte die elfköpfige Jury die Gewinner aus, die am 29. Januar 2019 im Porsche-Museum in den Kategorien Innovation, Nachhaltigkeit und Kultur ausgezeichnet wurden. Zum zweiten Mal vergeben wurde außerdem ein Publikumspreis.
Auf dem Bild (von links): Die Ehrenamtliche Eileen Bihn, Ingrid Braitmaier, hauptamtliche eva-Mitarbeiterin beim Besuchsdienst, die Ehrenamtliche Katica Bocarac sowie Claudia Fritz von der Bürgerstiftung.
Bildnachweis: Bürgerstiftung Stuttgart