Dreharbeiten für eine TV-Dokumentation zum Thema Straßenkinder
Montagmorgen im Schlupfwinkel. Micki will eine Tasse Tee trinken und stellt den Wasserkocher an. „Das Brot ist trocken“, findet er. „Dann kauf‘ frisches, ich geb‘ dir Geld“, meint Mitarbeiterin Sonja Hagenmayer. Micki bleibt lieber da. Nicht, weil der junge Mann zu faul zum Einkaufen ist. Er ist schließlich der Hauptdarsteller und kann nicht einfach mitten im Dreh verschwinden. Heute sind nämlich Regisseur Su Kwon Seo und Kameramann Tae Soo Kim vom südkoreanischen Jeonju Television zu Gast. Der Grund: Das TV-Team dreht eine dreiteilige Dokumentation über Straßenkinder.
Sie waren schon in Australien und den USA. Und bevor es nach England weitergeht, machen Su Kwon Seo und Tae Soo Kim nun für eine Woche in Deutschland Station. Sie wollen in Stuttgart, Heilbronn und Hannover mit Experten sprechen und sich verschiedene Angebote anschauen, von der Wohn- bis zur Therapiegruppe. Ihre Drehtour beginnt im Schlupfwinkel, der Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben.
"Haben Straßenkinder denn nicht nur schwarze Kleidung an?"
Im Gepäck haben die Filmemache jede Menge Fragen: „Haben die Straßenkinder denn nicht nur schwarze Kleidung an?“, ist eine ihrer ersten, als sie Micki sehen, der gerade in Jogginghose und Kapuzenshirt zur Tür hereinkommt. Micki heißt eigentlich Sandro Mendicino und studiert Soziale Arbeit. Für das koreanische Fernsehteam hat er sich heute aber in den Schüler Micki verwandelt, der Ärger mit seinen Eltern hat und von zu Hause abgehauen ist. „Nein, sie tragen nicht nur schwarz“, sagt Mitarbeiterin Sonja Hagenmayer. „Früher waren es viele Punks, heute sind die meisten Schlupfwinke-Besucher ‚ganz normal’ angezogen.“
Vor und hinter der Kamera erzählen die Pädagogin und der „Klient“ den Südkoreanern in den nächsten zwei Stunden, dass der Schlupfwinkel von eva und Caritas getragen wird und auf Spenden angewiesen ist. Dass junge Menschen von 12 bis 21 Jahren hierher kommen können, um zu duschen, Wäsche zu waschen oder zu essen. Und dass es oft eine ganze Weile dauert, bis die jungen Menschen sich öffnen.
Auch Micki möchte jetzt kein langes Gespräch führen, sondern lieber ein bisschen chillen. Die Kamera hält drauf, als er mit Rina – alias Lisa König, ebenfalls Studentin – Billard spielt. Könnten die zwei wohl erzählen, dass sie keinen Alkohol und keine Drogen mehr konsumieren, seit sie in den Schlupfwinkel kommen, bittet der Regisseur. „Nein, das wäre unrealistisch“, sind sich die „Darsteller“ einig. Dass die echten Schlupfwinkel-Besucher nicht vor die Kamera treten, dient ihrem Schutz – doch was hier nachgespielt wird, soll realistisch sein. Schließlich soll aus dem Material ein Dokumentarfilm werden.
„Südkorea hat Wohlstand erreicht, hinkt aber bei sozialen Maßnahmen hinterher“, erklärt Pia Schäfer, die das TV-Projekt in Deutschland koordiniert. Die gebürtige Koreanerin begleitet Su Kwon Seo und Tae Soo Kim die ganze Woche über und dolmetscht auch. „In Südkorea gibt es etwa 200.000 Straßenkinder und jedes Jahr kommen nochmal 15.000 dazu“, sagt sie. Doch das Thema sei in der koreanischen Gesellschaft ein Tabu. Und es gebe keine Einzelbetreuungsmaßnahmen: „Es gibt nur große Einrichtungen und Heime, in denen die Jugendlichen nicht lange bleiben dürfen“, sagt sie.
Das soll sich ändern. Deshalb habe die südkoreanische Regierung auch das Doku-Projekt finanziert. Das TV-Team will zeigen, wie Straßenkindern in anderen Ländern geholfen wird. Im November wird die Doku-Reihe im südkoreanischen Fernsehen ausgestrahlt.
Schnell noch eine Beratungs-Szene drehen
Mittlerweile ist es fast 10 Uhr. Eile ist geboten: In ein paar Minuten wird die Einrichtung geöffnet – doch die Jugendlichen können erst rein, wenn das Kamerateam raus ist. Das will noch schnell eine Beratungsszene drehen: Sonja Hagenmayer organisiert telefonisch einen Übernachtungsplatz für Micki. „Kann ich da auch hin?“, fragt Rina, die schon lange Probleme mit ihren Eltern hat und nun auch noch mit ihrem Freund, bei dem sie lebt. „Nein, das geht dort erst ab 18 Jahren. Bei dir ist das Jugendamt zuständig“, erklärt Hagenmayer und greift erneut zum Hörer. Sie vereinbart einen Termin beim Amt und wird Rina später dorthin begleiten. Sie würde es jedenfalls, wäre Rina nicht Lisa. Im Fernsehen wird kein Unterschied zu merken sein zwischen Spiel und Wirklichkeit.
Montag, 10.15 Uhr. Das TV-Team hat draußen, eine Ecke weiter, eine Stelle entdeckt, an der schon ein paar Schlupfwinkel-Besucher warten. Die werden in Ruhe gelassen, dafür darf Sandro ein paar Schritte weiter wieder den Micki geben. Danach geht’s ab in den Streetcamp-Transporter und gen Innenstadt. Der erste Kontakt der Schlupfwinkel-Streetworker mit Micki muss auch noch in den Kasten.