Stiftungen, Anrainer und Stadt Stuttgart ermöglichen bundesweit einzigartigen Ansatz – Mobile Jugendarbeit und Stadtbibliothek leiten das Projekt gemeinsam
Stuttgart. Stuttgart hat einen neuen Standort der Mobilen Jugendarbeit in der Stadtbibliothek. Und ein Konzept, das bundesweit einzigartig ist: Die Mobile Jugendarbeit im Europaviertel wird partnerschaftlich von der Mobilen Jugendarbeit (MJA) und der Stadtbibliothek geleitet. Die vier Mitarbeitenden sind drei Streetworker sowie eine bibliothekarische Fachkraft. Sie kooperieren eng mit dem Milaneo, mit Sicherheitskräften und der Polizei. In der Bibliothek gibt es Angebote der Jugendkultur sowie jeden Donnerstag einen offenen Jugendtreff als Rückzugsort für die Jugendlichen, wo sie auch spielen und Spaß haben können. Die sozialen Fachkräfte sind mit Streetwork im Viertel unterwegs. Daneben kommt jeden Freitag der Bus mit Biss der MJA auf den Mailänder Platz.
Die Mobile Jugendarbeit ist da, wo die jungen Menschen sind – das gilt in Stuttgart seit Jahrzehnten. Deshalb sind die bisherigen Standorte der MJA in den Stadtvierteln, in denen die Jugendlichen wohnen – nah dran an dem Ort, an dem diese sich treffen. Doch inzwischen halten sich viele Jugendliche nicht mehr da auf, wo sie schlafen; sie gehen nach der Schule oder Ausbildung ins Europaviertel. Das Einkaufszentrum Milaneo lädt zum Schlendern und Konsumieren ein, dort gibt es zudem ein großes Spektrum an gastronomischen Angeboten. Die Stadtbibliothek ist ein Ort der Ruhe; sie wird von Jugendlichen häufig zum „chillen“ genutzt. Der Mailänder Platz ist eine gute Gelegenheit, sich zu präsentieren.
All dies läuft jedoch nicht immer ohne Konflikte ab. Die Einrichtungen am Mailänder Platz waren nach ihrer Eröffnung nicht auf den Ansturm vorbereitet, es gab Beschwerden über Ruhestörungen, Diebstähle und Pöbeleien. Statt auf noch verstärktere Polizeipräsenz zu setzen, wurde ein anderer Ansatz erprobt: Von April bis Juni 2016 gab es ein Pilotprojekt der MJA, dessen Erfolg nicht nur die Beteiligten, sondern auch die wissenschaftlichen Begleiter beeindruckt hat. „Das Pilotprojekt und das jetzige Folgeprojekt sind einzigartig“, sagt Prof. Dr. Thomas Meyer vom Institut für angewandte Sozialwissenschaften an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. „Durch die Kooperation der verschiedenen Beteiligten – von der Stadtbibliothek über das Milaneo bis hin zu Security und Polizei – hat das Projekt Potenziale, die für die weitere Entwicklung des Stadtviertels genutzt werden sollten.“ Auch verschiedene Geldgeber – Stiftungen, Anrainer und die Stadt Stuttgart – wurden durch die Ergebnisse des Pilotprojekts davon überzeugt, dass ein Folgeprojekt nötig ist.
Seit 1. März machen Simon Fregin als Projektleiter sowie zwei weitere soziale Fachkräfte und ein Bibliothekar den Jugendlichen Angebote. Dazu gehören neben der sozialen Arbeit auch jugendkulturelle Angebote, die sich sowohl auf den Bildungs- wie auch auf den Freizeitbereich erstrecken. Angedacht sind neue Veranstaltungsformate wie beispielsweise eine Sprachwerkstatt für Jugendliche mit geringen Deutschkenntnissen, Lesungen von Autoren und Schülern, Poetry Slam, Book-Upcycling, Kunst-Ausstellungen von Jugendlichen für Jugendliche oder digitale Schreibwerkstätten. Geplant ist aber auch, Schüler bei ihren Prüfungsvorbereitungen zu unterstützen, indem sie bei Schulungen die Recherche nach Informationen lernen. „Bei unseren Angeboten werden wir intensiv mit den Anliegern sowie mit anderen Stuttgarter Kultur- und Bildungseinrichtungen kooperieren“, erklärt Elke Brünle, stellvertretende Direktorin der Stadtbibliothek Stuttgart.
„Gemeinsam mit der Stadtbibliothek machen wir uns auf den Weg, eine neue Form der Jugendsozialarbeit zu gestalten“, sagt Simon Fregin, der den neuen Standort der MJA leitet. Im Moment machen sich die Mitarbeitenden bei den Jugendlichen und den lokalen Institutionen bekannt. Dazu sind sie als Streetworker in der Stadtbibliothek, im Milaneo und auf dem Mailänder Platz unterwegs, aber auch in der Stadtbahn-Haltestelle Stadtbibliothek, in der Flüchtlingsunterkunft Tunzhoferstraße sowie im Hauptbahnhof. „Langfristig sehen wir uns als Ansprechpartner für soziale Fragen im Quartier“, sagt Fregin.
Die Kosten für die zunächst zweijährige Projektlaufzeit bis Ende Februar 2020 liegen bei etwa 395.000 Euro. Die Stadt Stuttgart unterstützt das Projekt durch den Projektmittelfonds Zukunft der Jugend mit 100.000 Euro. Die Robert-Bosch-Stiftung, die Vector-Stiftung haben jeweils 50.000 Euro gegeben, genau wie die LBBW, die Anliegerin im Europaviertel ist. Auch die Anrainer SWSG und die Sparkassenakademie unterstützen das Projekt finanziell, dazu kamen 2.000 Euro Preisgeld des Innovatio-Sozialpreises für das Pilotprojekt. Nach diesen großzügigen Spenden und Unterstützungen haben am Schluss noch 120.000 Euro gefehlt, damit das Projekt starten konnte. Diesen Betrag hat der Gemeinderat der Stadt Stuttgart im Doppelhaushalt 2018/2019 bewilligt. Überdies wird die zum Kernteam des Projekts zählende jugendbibliothekarische Stelle vom Gemeinderat der Stadt Stuttgart im Doppelhaushalt 2018/2019 finanziert, ergänzt durch zusätzliche finanzielle Mittel der Vector-Stiftung. „Wir freuen uns sehr, dass unser Pilotprojekt so viele Menschen überzeugen konnte. Und danken allen, die es unterstützen, von ganzem Herzen“, sagt Klausjürgen Mauch, der als Bereichsleiter bei der Evangelischen Gesellschaft (eva) für das Projekt zuständig ist. Seine Kollegin Jutta Jung vom Caritasverband für Stuttgart, der gemeinsam mit der eva die Mobile Jugendarbeit trägt, ergänzt: „Ich bin überzeugt davon: Mit diesem Projekt leisten wir einen wichtigen Beitrag dafür, eine offene Stadtgesellschaft zu erhalten.“