Junge Frauen im Fokus beim „Treff Sozialarbeit“ – Gendersensibles Arbeiten schließt auch nicht-binäre Menschen ein – Einrichtungen der eva als „Leuchttürme“ gelobt
Die Referentinnen beim jüngsten Treff Sozialarbeit der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (eva) waren sich einig, dass "Mädchenarbeit auch Mädchenpolitik braucht". Nur so könnten stabile Strukturen für eine gendersensible Herangehensweise in der sozialen Arbeit verankert werden, hieß es bei der Veranstaltung für Fachkräfte der Sozialen Arbeit und andere Interessierte. Unter dem Motto "Mädchen*(sozial)arbeit im Fokus" ging es in Beiträgen aus Praxis, Politik und Wissenschaft darum, wie man der "Vielfalt und Lebenslagen von Mädchen* und jungen Frauen* professionell und gendersensibel begegnen" kann.
Professorin Elke Schierer von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg erläuterte, dass sich Mädchensozialarbeit seit ihrer Entstehung in den 70er Jahren von feministischen Konzepten seit der Jahrtausendwende zu einem vielfältigen Ansatz entwickelt habe. Mit dem *Sternchen werden transidente, nichtbinäre und übergeschlechtliche Menschen miteinbezogen. Schierer warnte vor der Transphobie in der Gesellschaft, die als relevantes Thema zu berücksichtigen sei.
Plädoyer für einen Paradigmenwechsel
Herausfordernd sei es, mehrere Gleichheitsperspektiven parallel zu verfolgen, betonte Elke Schierer. Es gebe noch wenige spezifische Zugänge und professionelle Handlungsmethoden in der Mädchenarbeit, bedauerte die Professorin an der Ludwigsburger Hochschule. Das Themenspektrum reiche von Sexarbeit über eine besonders für Mädchen und junge Frauen prekäre Armutslage bis zu Frauenhandel, Migration und Flucht. Schierer plädierte in der Mädchen*(sozial)arbeit für einen Paradigmenwechsel. Notwendig seien eigene Ansätze für eine „moderne frauen- und sozialpolitische Stimme". Zeitgemäße Mädchenarbeit gebe es noch nicht flächendeckend, sondern diese konzentriere sich eher auf Leuchtturmprojekte in Städten.
Dazu zählt Monika Painke von der Jugendhilfeplanung Stuttgart auch die Einrichtungen der Evangelischen Gesellschaft. Die Leiterin der AG Gender Stuttgart betonte, dass das Jugendamt Stuttgart die trägerübergreifende Zusammenarbeit und gendersensibles Arbeiten fördere. Dies scheitere selten am Geld, sondern oft am gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber, ob Projekte nötig seien, bedauerte Painke.
Das Thema Zwangsverheiratung ist in der Politik angekommen
Aus diesem Grund ist für die Verantwortlichen bei der eva im Bereich „Hilfen für junge Migrantinnen" soziale Arbeit auch politische Arbeit im Sinne von anwaltschaftlichem Handeln. Die eva sei Miturheberin dafür, dass das Thema Zwangsverheiratung in der Politik angekommen sei und Maßnahmen dagegen sowie gegen Gewalt im Namen der Ehre als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen würden. Anfang der 90er Jahre sei die Lebenswelt junger Migrantinnen ein blinder Fleck gewesen. Es habe seither viele Tote durch sogenannte „Ehrenmorde“ gegeben. Heute bietet die eva bundesweit Schutz für betroffene junge Migrantinnen im Wohnprojekt ROSA. Außerdem gibt es die Kurzzeitzuflucht Nadia und die Beratungsstelle Yasemin.
Painke ergänzte, dass die Stadt Stuttgart Spielräume genutzt habe mit Partnern, um mädchensensible und gerechte Strukturen zu erarbeiten. Deshalb gelte die Landeshauptstadt als Pionierin beim Schutz vor häuslicher Gewalt. Als wichtiges Bindeglied zur Politik sieht Geschäftsführerin Ulrike Sammet die 1996 gegründete Landesarbeitsgemeinschaft Mädchen*politik Baden-Württemberg mit rund 130 Mitgliedern, wozu auch die eva und die Stadt Stuttgart zählen. Neben der konkreten Unterstützung sei es wichtig, an strukturellen Stellschrauben zu arbeiten, so Sammet. (rl)
Literatur: Elke Schierer und Sylvia C. Reichle (Hrsg): "Handbuch Mädchen*(sozial)arbeit", Beltz-Verlag 2023