Das Christoph-Ulrich-Hahn-Haus ist viel mehr als eine menschenwürdige Unterkunft – der Bau eines dritten Gebäudes wurde jetzt begonnen
Stuttgart-Freiberg. Im Christoph-Ulrich-Hahn-Haus leben seit über 50 Jahren Menschen in Wohnungsnot – insgesamt waren es in dieser Zeit etwa 5000 Männer und Frauen. Nun entsteht auf dem bisherigen Parkplatz ein Neubau, der weiteren 27 Frauen und Männern eine menschenwürdige Unterkunft bieten soll. Und eine Arbeit, die ihrem Leben Sinn gibt, ihrer Seele Anerkennung. Einige der heute 70 Bewohnerinnen und Bewohner und der 40 Mitarbeitenden des Hauses haben am 9. Juli 2021 mit geladenen Gästen den Spatenstich für einen Neubau gefeiert. Er entsteht auf dem bisherigen Parkplatz und hat einen barrierefreien Zugang.
Seit 1968 bietet die Evangelische Gesellschaft (eva) im Christoph-Ulrich-Hahn-Haus in Stuttgart-Freiberg Heimplätze für zuvor wohnungslose Personen an. „Das Haus ist eines der ältesten Gebäude der Wohnungsnotfallhilfe in Stuttgart, es hat viel gesehen und erlebt, viel Freud und viel Leid“, sagte Dr. Alexandra Sußmann, Sozialbürgermeisterin der Landeshauptstadt beim Spatenstich. Nach wie vor ist das Haus dringend nötig – in Zeiten fehlenden Wohnraums mehr als in manchen Jahren zuvor. Heute gibt es hier 70 Plätze, 44 für wohnungslose Frauen und Männer in besonderen sozialen Schwierigkeiten und 26 für chronisch mehrfachgeschädigte Abhängigkeitskranke.
47 geräumige Wohneinheiten entstehen
Im Neubau sollen zum einen 20 der bestehenden 26 Wohnplätze für chronisch-mehrfachgeschädigte Abhängigkeitskranke unterkommen, die nicht den Anforderungen der geltenden Landesheimbauverordnung entsprechen. Daneben entstehen hier 27 neue Plätze für Frauen und Männer, die bisher im benachbarten Immanuel-Grözinger-Haus der eva gelebt haben. Insgesamt werden in dem neuen Gebäude 47 geräumige Wohneinheiten mit eigener Dusche und Toilette entstehen.
Zu den heutigen 70 Bewohnerinnen und Bewohnern gehört seit September 2010 Heinz Maier (Name geändert). Viele Jahre hat er exzessiv Alkohol getrunken und hatte keine Arbeit. Nach dem Tod seiner Mutter wurde er obdachlos. Zum Glück hatte er einen gesetzlichen Betreuer, der für ihn nach einer Bleibe mit Unterstützung suchte – und sie im Christoph-Ulrich-Hahn-Haus gefunden hat. Maier lebt seitdem in einem besonderen Bereich des Hauses, der speziell für chronisch mehrfachgeschädigte Abhängigkeitskranke vorgesehen ist. Diese sind chronisch von Suchtmitteln abhängig und haben dadurch schwere körperliche und oft auch psychische Probleme.
Barrierefreie Werkstatt wird Teil des Neubaus
Ein eigenes Zimmer ist wichtig. Doch um eine Chance zu haben, die Sucht zu überwinden, ist daneben auch eine Beschäftigung nötig, die den Tag strukturiert. Eine Arbeit auf dem ersten oder zweiten Arbeitsmarkt ist für chronisch mehrfachgeschädigte Abhängigkeitskranke nicht möglich. Deshalb gibt es seit 2001 eine tagesstrukturierende Beschäftigung für sie. Auch Heinz Maier arbeitet hier. Er und die anderen Bewohnerinnen und Bewohner stellen Holz- und Tonprodukte her; dazu kommen Arbeiten im Haus und im Garten sowie in einem Kleintiergehege. Der Zugang zur Werkstatt war bisher nicht barrierefrei. Das soll sich mit dem Neubau ändern: Hier entsteht neben Wohnraum auch eine neue Werkstatt.
Die Beschäftigung in der Werkstatt motiviert die Teilnehmenden dazu, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Das lässt sie erfahren, wie es sich anfühlt, wertgeschätzt und anerkannt zu sein. „Wir holen die Menschen, die um unsere Hilfe nachsuchen, dort ab, wo sie stehen. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe“, so Diakon Michael Kurz, Leiter des Christoph-Ulrich-Hahn-Hauses. „Uns ist wichtig, jeden Einzelnen zu hören. Mir fallen da die Worte der Bibel aus Sprüche 31.8 ein: Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen!“
Menschlichkeit und Nächstenliebe für Menschen am Rande
Auch Prof. Dr. Jürgen Armbruster, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der eva, ist dieser Aspekt des Christoph-Ulrich-Hahn-Hauses wichtig. In dem Haus werde „Menschlichkeit und Nächstenliebe gepflegt gegenüber denjenigen, die in unserer Gesellschaft am Rande stehen. Menschen, die draußen vor der Tür lebten, krank und manchmal süchtig und vor allem in vielfältiger Weise bedürftig“, so Armbruster beim Spatenstich.
Die Kosten für den Neubau mit insgesamt 3.068 Quadratmetern betragen 8,6 Millionen Euro. Auf dem Gelände Himmelsleiter werden dann drei Gebäude stehen, in denen eine individuelle und zielgerichtete Hilfe angeboten werden kann. Der erste Bauabschnitt des massiven Hauses in energiesparender Bauweise soll bis Ende 2021 fertig sein. Mitte 2023 solle der Bau abgeschlossen sein, versprach der leitende Architekt Andreas Miegl.
Heinz Maier hat das Leben im Haus in den vergangenen rund elf Jahren Vertrauen in sich selbst geschenkt. Was ihm hilft? „Gemeinsame Mahlzeiten, Arbeitstherapie mit vielerlei Möglichkeiten, viele Extra-Angebote wie Suchtgruppen unter psychologischer Leitung. Ich weiß, dass ich morgen um diese Zeit an meinem Arbeitsplatz in der Holzwerkstatt und in der Hauswirtschaft erwartet werde. Das tut unheimlich gut.“ (uli)