Zahlreiche Interessierte nutzen den Tag der offenen Tür, um Räumlichkeiten und Konzept kennenzulernen
Nürtingen. Seit 2013 haben viele Menschen rund um den Tagestreff Nürtingen der Evangelischen Gesellschaft (eva) eine Idee hartnäckig verfolgt: mehr Wohnraum für Menschen in Armut und Wohnungsnot zu schaffen. Fast sechs Jahre später ist es endlich soweit: Nach vielen Benefiz- und Spendenaktionen, dem Erwerb und Umbau einer Immobilie können im Januar die beiden betreuten WGs in Nürtingen-Oberensingen starten. „Viele Menschen in Nürtingen haben sich für dieses Projekt engagiert und dadurch erst möglich gemacht“, sagte eva-Abteilungsleiterin Iris Maier-Strecker. „Deshalb dachten wir, dass viele sehen wollen, was daraus geworden ist.“ Und tatsächlich war das Interesse beim Tag der offenen Tür groß: Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende des Tagestreffs, Spender, Vertreter des Freundeskreises, des Sozialamtes, der Kirchengemeinde und viele weitere Interessierte waren in die Stuttgarter Straße 110 gekommen. „Acht Menschen bekommen hier die Chance, wieder Fuß zu fassen“, sagte Bürgermeisterin Annette Bürkner. „Das ist ein Grund zur Freude.“
Auf drei Etagen bietet das frisch renovierte Gebäude Platz für ein Büro und Lagerflächen im Erdgeschoss sowie zwei Vierer-WGs im ersten und zweiten Stock. Auf jeder Etage stehen den künftigen Bewohnern eine Küche, ein Bad sowie ein Gemeinschaftsraum zur Verfügung. Wer hier einzieht, ist wohnungslos oder lebt in prekären Wohnverhältnissen. „Die Plätze sind vorgesehen für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten“, sagt Sozialarbeiter Daniel Richter, der die Bewohner gemeinsam mit seiner Kollegin Karin Raisch vor Ort unterstützen und begleiten wird. Die Bewohner sollen hier ein Zuhause auf Zeit finden, keine langfristige Unterkunft. Deshalb steht vor dem Einzug ein Vorstellungsgespräch: „Die Bewohner müssen die Motivation haben, etwas zu ändern“, so Karin Raisch. „Sie sollen bereit sein, an ihren Zielen zu arbeiten.“ Zum anderen kann eine WG nur funktionieren, wenn die Bewohner zueinander passen. Auch dies müssen die beiden Sozialarbeiter im Blick behalten. Regelmäßig wird es Einzel- und WG-Gespräche geben. „Alle Bewohner ziehen hier mit einem vollen Rucksack an Problemen ein“, so Raisch. „Deshalb wird es auch unsere Aufgabe sein, Konflikte zu moderieren."
Dass nun der Einzug der ersten Bewohner bevorsteht, ist der Schlusspunkt eines langen und schwierigen Weges. Daran erinnerte Iris Maier-Strecker. Die ursprüngliche Idee, ein Grundstück zu erwerben und darauf Einzelappartements zu bauen, konnte nicht umgesetzt werden. „Wir haben in Nürtingen – trotz aller Bemühungen und Unterstützung der Stadt – leider kein geeignetes und bezahlbares Grundstück gefunden.“ Dennoch haben sich die Beteiligten nie entmutigen lassen und mit dem Erwerb der Immobilie in Oberensingen eine gute Alternative gefunden. „Danke, dass Sie das Ziel nie aus den Augen verloren haben“, so Iris Maier-Strecker.
Viele Menschen haben gemeinsam an einem Strang gezogen: die Mitglieder des Freundeskreis, die zahlreiche Benefizaktionen organisiert haben, die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden des Tagestreffs, die ehemalige eva-Abteilungsleiterin Regine Glück und zahlreiche Spender – darunter der Rotary Club Nürtingen-Kirchheim/Teck. „Die Spenden, die der Freundeskreis in den vergangenen Jahren gesammelt hat, sind in diesem Projekt gut angelegt“, betonte Gerhard Kolb, Vorsitzender des Tagestreff-Freundeskreises. Es sei gerade die bürgerschaftliche Verankerung, die das Projekt so besonders mache.
„Wir brauchen das soziale Netz für unsere Arbeit hier unbedingt“, bestätigte auch Sozialarbeiterin Karin Raisch. Beide hauptamtlichen Sozialarbeiter freuen sich, dass sie von den Ehrenamtlichen des Tagestreffs unterstützt werden. Ein gemeinsames Gartenprojekt beispielsweise sei möglich. Oder die Begleitung der Bewohner zum JobCenter oder zum Arzt.
Für Bürgermeisterin Annette Bürkner ist das bürgerschaftlich verankerte Wohnprojekt ein starkes Signal in Zeiten zunehmender Wohnungsnot. „Die Stadt Nürtingen versucht gegen den Wohnungsmangel anzugehen“, so Bürkner. „Aber genauso wichtig ist, dass es Menschen wie Sie gibt, die sich engagieren und selbst kreativ werden. Ganz herzlichen Dank für Engagement.“