Schlupfwinkel-Ehrenamtliche Barbara Spehr ist „Stuttgarterin des Jahres“
Zehn Menschen, die sich vorbildlich in die Gesellschaft einbringen, dürfen sich jetzt „Stuttgarter des Jahres“ nennen – eine davon ist Barbara Spehr. Sie erhält den Preis für ihr ehrenamtliches Engagement im Schlupfwinkel, einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben. Am Abend des 31. März sind die Ehrenamtlichen in den Wagenhallen mit dem Preis ausgezeichnet worden. Er wurde in diesem Jahr erstmals von der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Versicherungsgruppe vergeben und ist mit insgesamt 30.000 Euro dotiert.
Bürgerschaftliches Engagement ist wichtig für die Gesellschaft und im Idealfall eine Bereicherung für alle Beteiligten. Bei Barbara Spehr, „ihren“ Schlupfwinkelkindern und den hauptamtlichen Mitarbeitenden ist genau das der Fall. Schon seit rund 20 Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich im Schlupfwinkel, der von der Evangelischen Gesellschaft (eva) und dem Caritasverband für Stuttgart getragen wird.
Zwischen 12 und 21 Jahren alt sind die Kinder und Jugendlichen, mit denen Barbara Spehr es hier zu tun hat. Sie sind aufgrund ihrer Erfahrungen nicht ganz einfach. „Die meisten erleben Abwertungen durch ihre Eltern – oder auch Überbehütung und einen hohen Leistungsdruck“, weiß Spehr. Andere seien missbraucht worden und hätten schwerste Gewalt erlebt. Die Preisträgerin bringt Erfahrung mit, um damit umgehen zu können: Sie ist selbst Mutter zweier längst erwachsener Jungs sowie eines Pflegekindes und war lange Zeit Familienhelferin des Jugendamts Esslingen. Und was genauso wichtig ist: Sie mag „ihre“ Schlupfwinkel-Kinder, ist für sie so etwas wie ein Familienersatz. Gerne verwöhnt sie ihre Schützlinge, kocht und serviert ihnen Essen. Auf der anderen Seite ist sie dann auch streng und hält die Jugendlichen zum Hinsetzen oder Abräumen an. Ein Stück normaler Alltag, der sich im Schlupfwinkel abspielt.
Die Sozialarbeiter und -pädagogen empfinden es als positiv, von der Ehrenamtlichen auf andere Blickwinkel hingewiesen zu werden. Zumal die Jugendlichen Spehr öfter Dinge erzählen, von denen die sozialen Fachkräfte noch nichts wissen. Nicht, weil sie mit ihnen nicht auch offen sprechen könnten, sondern weil die Ehrenamtlichen einfach einen anderen Status einnehmen, privat sind. Spehr tauscht sich deshalb regelmäßig mit den Hauptamtlichen aus. So sind beide Seiten auf dem aktuellen Stand.
"Man muss die Kinder mögen“
Zweimal in der Woche kommt Barbara Spehr in den Schlupfwinkel, schaut, welche Kinder da sind und was sich ergibt. „Es geht nicht nur darum, keine Vorbehalte zu haben – man muss die Kinder mögen“, sagt Spehr. „Sie spüren das.“ Ganz offensichtlich tun sie das: „Barbara und ich haben schon über vieles geredet“, sagt etwa Schlupfwinkel-Besucher Moritz (Name geändert). „Man kann gute Gespräche mit ihr führen, das ist cool.“
In der „Stuttgarter des Jahres“-Jury saßen Eric Gauthier, Chef der Gauthier Dance Kompanie, Schwester Margret, Ordensschwester und Leiterin der Franziskusstube für Obdachlose unter der Paulinenbrücke, Ingrid Macher, Leiterin der Rosensteinschule, VfB-Torwart Sven Ulreich, Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung und Frank Karsten, der Vorstandsvorsitzende der Stuttgarter Versicherungsgruppe. Für den Preis konnte man sich nicht selbst bewerben, sondern musste von sogenannten Paten vorgeschlagen werden. Über 200 Vorschläge sind eingegangen. Zehn „Stuttgarter des Jahres“ wurden ausgezeichnet.