Diskussionsabend zeigte: Kultur ist für arme Menschen oft zu teuer – Mindestlohn unter Künstlern kein Thema – auch kulturelle Hürden verwehren den Zugang zur Kultur
Kultur ist keine Orchidee, die sich eine Gesellschaft leistet – sie hält die Gesellschaft im Innersten zusammen. Davon ist Peter Jakubeit von „Kultur für alle“ überzeugt. Teilhabe an Kultur sei ein Grundrecht, wenn nicht gar ein Menschenrecht, so Jakubeit bei der Diskussionsveranstaltung „Kunst darf kein Luxus sein“ am 15. Mai im DGB-Haus. Der Abend war Teil des Begleitprogramms der Ausstellung „Kunst trotz(t) Armut“.
Uli Rabeneick vom Sozialunternehmen Neue Arbeit führte durch die spannende Diskussion. Neben Peter Jakubeit saßen der Künstler Albrecht Weckmann sowie Jan Frier, der eine Bonuscard besitzt, auf dem Podium. Zu Beginn machte Uli Rabeneick anhand einiger Zahlen deutlich, dass Armut in der reichen Stadt Stuttgart ein Riesenthema ist. Über 72.000 Stuttgarter Bürger, die an der Armutsgrenze leben, seien aktuell Inhaber der Bonuscard. Täglich würden 2.000 Menschen in den Stuttgarter Tafelläden 22 bis 30 Tonnen Lebensmittel einkaufen, um irgendwie über die Runden zu kommen.
Albrecht Weckmann, der am landesweiten Aufbau der Kunstschulen beteiligt war, forderte, dass Kinder in Kindergarten und Schule sowie an anderen Orten besser an Kunst und Kultur herangeführt werden sollten. Der Künstler und Bildungsreferent beleuchtete daneben die prekäre Lage der Kunstschaffenden. Die 63.000 in Deutschland tätigen Künstler verfügen nach einer Studie von ver.di über durchschnittlich 11.500 Euro jährlich. Weckmann bezeichnete die armen Künstler als akademisches Prekariat; sie nähmen nicht am Reichtum der Stadt Stuttgart teil. Das Thema Mindestlohn sei unter Künstlern überhaupt kein Thema.
Jan Frier gehört eigentlich zu denen, die Kunst rezipieren. Doch Kultur sei teuer, erklärte der arbeitslose Bonuscard-Inhaber. Er müsse jeden Cent dreimal umdrehen, darum sei er eigentlich weit weg von Kultur. Wenn die Rolling Stones ein Konzert gäben, würde er das wohl wahrnehmen. Doch einen Konzertbesuch schließt er für sich aus. Kultur ist für ihn zwar Teil des Lebens, doch sie kommt bei ihm zu kurz. Frier wies darauf hin, dass bei vielen Kulturveranstaltungen Konsumzwang bestehe. So sei eine Veranstaltung für ihn nicht kostenlos, auch wenn er eine Freikarte bekommen würde.
Doch es gibt neben dem Geld auch kulturelle Hürden, die den Zugang zur Kultur verwehren: Ein Mitarbeiter des Hans-Sachs-Hauses, in dem alleinstehende Männer in sozialen Schwierigkeiten leben, berichtete von seinen vergeblichen Versuchen, die Hausbewohner zur Teilnahme an einer hochkarätigen und kostenlosen Veranstaltung zu bewegen.
Der Hinweis von Uli Rabeneick, dass jede in Stuttgart ausgegebene Opernkarte mit durchschnittlich 161 Euro subventioniert und die Oper überwiegend von Gutverdienenden besucht werde, entfachte eine lebhafte Diskussion. Peter Jakubeit warnte sowohl vor einer Neid-Debatte als auch vor einer Kosten-Nutzen-Debatte. Die Stadtgesellschaft brauche Hochkultur und Basiskultur in ihrer ganzen Bandbreite als Lebenselixier.