Kinder und Jugendliche sind während der Corona-Pandemie besonders gefährdet – Einrichtungen der Erziehungshilfe im Rems-Murr-Kreis machen zusätzliche Angebote
Die Corona-Pandemie fordert besonders Familien heraus: Regeleinrichtungen sind geschlossen, das öffentliche Leben ist ausgesetzt, Familien schotten sich ab. Damit schwindet auch die soziale Kontrolle. Das wird vermehrt zu prekären Situationen führen – auch in Familien, zu denen die Jugendhilfe noch keinen Zugang hat. Davon sind die Verantwortlichen der freien Träger, die im Rems-Murr-Kreis Erziehungshilfe anbieten, überzeugt. Sie rechnen mit einer Zunahme von häuslicher Gewalt, bei der vor allem Kinder und Jugendliche die Leidtragenden sein werden. Deshalb bieten mehrere Erziehungshilfe-Träger Notrufnummern für Kinder und Familien an, die sie extra für die neue Krisensituation eingerichtet haben. Die Nummern sind per Telefon, teils auch über WhatsApp erreichbar und bieten kostenlose Beratung an.
Die Träger der Kinder- und Jugendhilfe im Rems-Murr-Kreis setzen in dieser schwierigen Krisensituation alles daran, Kinder, Jugendliche und Familien weiterhin zu unterstützen. Das gilt zum einen für die Mitarbeitenden in den ambulanten Bereichen: Sie begleiten die Kinder und deren Familien in ihren Ängsten und Verunsicherungen. Die Fachkräfte nutzen dafür neue Medien, schnüren „Carepakete“ für zu Hause, telefonieren und schreiben. In krisenhaften Situationen sind sie nach wie vor im direkten Kontakt mit ihren Klientinnen und Klienten.
Kinder- und Jugendhilfe ist gerade jetzt für junge Menschen und Familien in Not da
Viele Mitarbeitende in den stationären und teilstationären Bereichen bleiben im direkten Kontakt zu Kindern, Jugendlichen und Familien. Sie gehen damit immer auch das Risiko ein, sich selbst oder enge Familienmitglieder mit Vorerkrankungen zu infizieren. Dazu kommt, dass die Kinder und Jugendlichen nun auch vormittags betreut werden müssen, weil die Schulen geschlossen haben. Die Mitarbeitenden, die wegen der Schul- und Kitaschließungen nicht wie gewohnt arbeiten können, arbeiten deshalb jetzt in den Heimen und Tagesgruppen mit. Sie ersetzen auch Kolleginnen und Kollegen, die krank sind oder unter Quarantäne stehen. Oder auch jene, die nicht im direkten Kontakt mit Kindern und Jugendlichen sein dürfen, weil sie zu den Personen gehören, für die eine Erkrankung mit Corona ein sehr hohes Gesundheitsrisiko darstellen würde.
Alle stationären Einrichtungen haben ihren Bewohnerinnen und Bewohnern eine Quarantäne auferlegt, um sie vor Infektionen zu schützen. Sie dürfen nur noch unter sehr reglementierten Bedingungen den Kontakt zu ihren Familien, ihren Freundinnen und Freunden pflegen. Das ist für die dort lebenden Kinder und Jugendlichen sehr belastend. Zwar haben sie viele mediale Kontaktmöglichkeiten. Doch reicht dies nicht aus, um ihnen die Sorgen um die Gesundheit und die Situation der Eltern und Großeltern zu nehmen und um ihre Sehnsucht nach Begegnung zu stillen. „Die belasteten Seelen geraten noch mehr in Not“, berichtet die Sprecherin des „Arbeitskreises der Einrichtungen der Erziehungshilfe im Rems-Murr-Kreis“, Dagmar Braun. „Sie brauchen zuversichtliche Mitarbeitende, die sich dieser Herausforderung engagiert, fachlich fundiert und äußerst flexibel stellen.“
Die Kinder- und Jugendhilfe ist systemrelevant
Die Kinder- und Jugendhilfe wird bislang nicht zur kritischen Infrastruktur gerechnet. Das erstaunt die Fachleute, weil hier eine existenzielle Aufgabe für Kinder und Jugendliche erfüllt wird. Diese haben in der Regel keine anderen Hinwendungsmöglichkeiten, wurden in Obhut genommen, ihre Familien müssen dringend unterstützt und beraten werden. Um ihrer Aufgabe auch weiterhin gerecht zu werden, müssen die Mitarbeitenden der Jugendhilfe rasch Zugang zu den Corona Testzentren bekommen. Wenn sie Kontakt mit Infizierten hatten, ist es wichtig, schnell zu wissen, ob sie sich angesteckt haben oder nicht. Dies entscheidet darüber, ob sie sich in häuslicher Quarantäne aufhalten müssen oder sich weiter zum Wohl der Kinder einsetzen können.
Die Freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe brauchen Sicherheit für die Zukunft
Während der Corona-Pandemie bündeln die Fachleute flexibel, phantasievoll und mit großem Engagement alle Kräfte, um die Betreuung von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen. Dabei arbeiten sie eng mit dem Kreisjugendamt zusammen. Überall dort, wo Angebote und Hilfen nicht mehr wie bisher durchgeführt werden können, wirft dies Fragen der Finanzierung auf. Die freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe müssen auch über die aktuelle Krise hinaus ihre Leistungsfähigkeit für die Kinder, Jugendlichen und Familien gewährleisten können. Nur so wird es auch künftig ein breites Netz an sozialen Dienstleistungen geben. „Dafür brauchen wir finanzielle Sicherheit, denn ohne Sicherheit gibt es keine Zuversicht!“ appelliert Dagmar Braun im Namen aller Träger an die Politik. (uli)
Der Arbeitskreis der Einrichtungen der Erziehungshilfe im Rems-Murr-Kreis besteht aus folgenden Einrichtungen:
Berufsbildungswerk (BBW) Waiblingen, Diakonische Jugendhilfe Heilbronn (DJHN), Evangelische Gesellschaft (eva), Jugendhilfeverbund der Paulinenpflege, Philadelphia-Kinderheimat, SOS-Kinderdorf Württemberg, Verein Kinder- und Jugendhilfe Backnang.