Treffen der Regionalgruppen des präventiven Schulprojekts „Verrückt? Na und!“– Ziel: Projekt soll künftig mehr Schülerinnen und Schülern angeboten werden können
Stuttgart. Verrückt? Na und! – unter diesem Titel hat der Verein „Irrsinnig Menschlich“ vor über 15 Jahren ein Präventionsprojekt ins Leben gerufen, das Schülerinnen und Schüler für das Thema seelische Gesundheit sensibilisiert. Dass das Konzept wirkt, hat bereits eine wissenschaftliche Evaluation 2010 bestätigt. Seit 2007 zeigt der „Verrückt? Na und!“-Schultag auch in Baden-Württemberg Schülern ab der 8. Klasse und ihren Lehrern, wie wichtig seelische Gesundheit ist und was man dafür tun kann. Seit 2009 wird das Projekt bundesweit von der BARMER unterstützt. Eine Regelfinanzierung aus öffentlichen Geldern gibt es bisher jedoch nicht. Beim Landesnetzwerktreffen von „Verrückt? Na und!“ in Stuttgart-Möhringen am 10. Oktober, dem Internationalen Tag der seelischen Gesundheit, hat sich gezeigt, dass das vielen Trägern zu schaffen macht.
„Viele Regionalgruppen würden den Schulen gerne mehr Präventionstage anbieten, aber dafür fehlt meist das Geld“, sagte Kirsten Wolf von der Evangelischen Gesellschaft (eva), die die Regionalgruppe Stuttgart koordiniert. „Die Arbeit ist gut, aber sie braucht eine solide Regel-Finanzierung aus öffentlichen Geldern.“ Beeindruckt von dem Projekt zeigte sich bei dem Treffen auch Baden-Württembergs Minister für Soziales und Integration, Manne Lucha: „Seelische Störungen können die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beeinträchtigen. Es ist daher wichtig, in einem möglichst frühen Stadium seelische Erkrankungen zu erkennen. Hier setzt Verrückt? Na und! an und leistet somit einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Prävention.“
Einige Zahlen verdeutlichen, warum das Projekt nötig ist: Etwa 20 bis 30 Prozent aller Kinder und Jugendlichen gelten als seelisch auffällig. Und drei von vier psychischen Erkrankungen von Erwachsenen beginnen im Jugendalter. Das gilt auch für Baden-Württemberg, berichtete BARMER-Landesgeschäftsführer Winfried Plötze bei dem Treffen: „Junge Menschen sollen das Leben genießen, aber wir wissen aus unseren Daten, dass bei einem Viertel der 16- bis 30-Jährigen in Baden-Württemberg eine Depression diagnostiziert wurde.
Oft vergehen mehrere Jahre, bis sich die Betroffenen Hilfe holen. Auch Jugendliche und junge Erwachsene sprechen aus Angst vor Stigmatisierung und Ausgrenzung nur selten offen über das Thema. Das Präventionsprogramm „Verrückt? Na und!“, das der Verein Irrsinnig Menschlich mit regionalen Partnern bundesweit an Schulen umsetzt, will das ändern.
Und so funktioniert das Projekt: Ein Fachexperte und ein Experte in eigener Sache, der seelische Krisen selbst erlebt und gemeistert hat, gestalten als Tandem einen Projekttag an Schulen. Mit Schülern und Lehrern tauschen sie sich offen über die großen und kleinen Fragen zur psychischen Gesundheit aus. Typische Themen: Leistungsdruck, Mobbing, Trennung der Eltern, Krankheit in der Familie, Süchte, Zukunftssorgen. Was die Schüler besonders beeindruckt, ist das Gespräch mit den persönlichen Experten. Von ihnen erfahren sie, wie sich eine Depression oder eine Psychose anfühlt, wo es Hilfe gibt und was sie selbst, Freunde, Eltern und Lehrer tun können.
„Verrückt? Na und! ist ein Türöffner für ein hochaktuelles gesamtgesellschaftliches Thema, das in Schule und Ausbildung kaum Platz hat und auch Familien oft überfordert", sagte Dr. Manuela Richter-Werling, Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins Irrsinnig Menschlich, bei dem Landesnetzwerktreffen. Ein Schultag mit Präventionsangeboten koste pro Schüler etwa 40 Euro. Dagegen lägen die Kosten für eine stationäre Behandlung bei psychischer Krankheit durchschnittlich bei 10.000 Euro, für eine ambulante Behandlung bei 2.000 Euro. Trotzdem würden bislang weniger als ein Prozent der Schüler mit Präventionsangeboten erreicht. Die Vereins-Geschäftsführerin hofft auf weitere Unterstützer aus Politik und Wirtschaft, um das Angebot in den kommenden Jahren weiter auszubauen und noch mehr junge Menschen zu erreichen. Bisher wird Verrückt? Na und! an über 80 Standorten in 12 Bundesländern angeboten, darüber hinaus in Österreich, Tschechien und der Slowakei.
Mitveranstalter des Landesnetzwerktreffens war als bundesweiter Präventionspartner die BARMER. „Wir möchten durch die Förderung von „Verrückt? Na und!“ dabei helfen, die psychische Widerstandskraft der Kinder und Jugendliche zu stärken, damit sie den Herausforderungen des Alltags begegnen, sich ihre Gelassenheit und damit auch ihre Gesundheit bewahren können“, sagte BARMER Landesgeschäftsführer Winfried Plötze.
Das Landesnetzwerktreffen im Bürgerhaus Möhringen nutzten die Regionalgruppen aus Baden-Württemberg, um sich auszutauschen. „Es geht darum, voneinander zu lernen, die Qualität des Projekts zu sichern und die Konzepte weiterzuentwickeln“, so Kirsten Wolf. Daneben hoffen die Veranstalter, weitere Schlüsselpersonen aus der Politik sowie dem Bildungs- und Gesundheitssystem als Mitstreiter für eine Regelfinanzierung zu gewinnen. Manne Lucha brauchen sie von der Qualität des Präventionsprogramms nicht mehr zu überzeugen: Der Minister für Soziales und Integration Baden-Württemberg hat die Schirmherrschaft von „Verrückt? Na und!“ übernommen. Beim Landesnetzwerktreffen stellte er in seinem Impulsvortrag „Szenarien der Umsetzung“ des Projekts im Südwesten vor. Er warb dafür, junge Menschen zum Sprechen über psychische Probleme zu befähigen. Es gebe bei diesem Thema „nichts zu verheimlichen“.
Auf dem Bild (v.l.): Winfried Plötze von der Barmer; Manne Lucha, Sozialminister Baden-Württembergs; Kirsten Wolf, eva-Bereichsleiterin; Dr. Manuela Richter-Werling vom Verein Irrsinnig Menschlich; eva-Vorstand Prof. Dr. Jürgen Armbruster; Norbert Göller von Irrsinnig Menschlich.