Bedarf nach vertraulichem Gespräch mit der TelefonSeelsorge Stuttgart 2024 stark gestiegen - Anstieg verweist auf gesellschaftliche Ängste - Neue Ehrenamtliche sollen Abhilfe für Erreichbarkeit schaffen.
Ab Nachmittag bis spät in die Nacht sind die Leitungen der Telefonseelsorge mehr als gefragt: An manchen Tagen enden 65 Prozent aller Anrufversuche ab 16 Uhr auf einem Ansageband. Menschen in akuter seelischer Bedrängnis benötigen manchmal mehrere Versuche, um jemanden zu erreichen, der ein offenes Ohr für ihre Ängste, Nöte oder gar Suizidgedanken hat. Diesen Zustand möchten Martina Rudolph-Zeller (Evangelische TelefonSeelsorge Stuttgart e.V.) und Bernd Müller (Katholische TelefonSeelsorge Ruf und Rat) schnellstmöglich ändern: „Wir bilden in den nächsten Jahren vermehrt aus, um die Anzahl der Ehrenamtlichen zu erhöhen“, sagt Rudolph-Zeller. Auch die katholische Telefonseelsorge setzt auf Verstärkung im Team der Ehrenamtlichen. „Nur so können wir durchgängig mehrere Telefonleitungen besetzen“, ergänzt Müller.
Angst vor Armut und Krieg
Für die starke Zunahme des Bedarfes machen die Experten von der Telefonseelsorge zwei Hauptursachen verantwortlich: Politische Krisen und eine erhöhte Achtsamkeit für das eigene seelische Empfinden. „Wir merken, dass die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten vermehrt Ängste auslösen. Auch die politisch aufgeheizte Stimmung bedrückt viele“, sagt Martina Rudolph-Zeller. Das Thema soziale Ungleichheit spiegelt sich ebenso bei den Anrufenden wider. „Angst vor Armut und Krieg ist ein wiederkehrendes Motiv“, so die Sozialpädagogin weiter.
Dazu kommt eine größere gewordene Aufmerksamkeit für die eigene psychische Gesundheit. Die Enttabuisierung von psychischen Krisen in der Gesellschaft hat auch Auswirkungen auf die Telefonseelsorge. „Wer seelische Not verspürt, holt sich mittlerweile schneller Hilfe“, sagt Martina Rudolph-Zeller.
Mehr als 40 Prozent berichten von einer psychischen Erkrankung
Über jeden Kontakt wird nach dem Gespräch oder Onlinekontakt ein Statistik-Protokoll geführt. Insofern wissen die Leitungen auch genau, welche Themen die Menschen beschäftigen und Ängste auslösen. „TelefonSeelsorge ist der Seismograph der Gesellschaft“, sagt der Psychologe Bernd Müller, der stellvertretende Leiter von Ruf und Rat.
Die Statistik aus dem Jahr 2024 ist mittlerweile aufbereitet: Im Jahr 2024 wurden von den 187 Ehrenamtlichen und fünf Hauptamtlichen der beiden TelefonSeelsorge Stellen insgesamt 34.810 Telefongespräche und 2.627 Chatdialoge geführt. Zudem gingen 869 Mailanfragen ein. Das telefonische Gesprächsangebot wird vor allem von Menschen ab 50 Jahre genutzt. Jüngere Menschen melden sich vermehrt per Chat oder Mail. Dafür loggen sie sich ein unter www.online.seelsorge.de
Im vergangenen Jahr waren es am Telefon besonders die Themen Einsamkeit (19,5 Prozent), familiäre Konflikte (17,7 Prozent), depressive Verstimmungen (16,2 Prozent) und Ängste (15,7 Prozent), die die Menschen bewegten. Schmerzen und körperliche Einschränkungen waren Thema bei 15,4 Prozent der Anrufenden.
Online meldeten sich ein Viertel mit depressiver Stimmung (Chat 24,4 Prozent, Mail 22,1 Prozent), und aufgrund von suizidalen Gedanken (Chat 24,4 Prozent, Mail 41,9 Prozent), Ängsten (Chat 22,9 Prozent, Mail 13,4 Prozent) und familiärenKonflikten (Chat 17,7 Prozent, Mail 29,7 Prozent). Insgesamt 41 Prozent aller Kontaktsuchenden berichteten von der Problematik einer psychischen Erkrankung.
Ehrenamtliche werden gut ausgebildet
Zuhören bietet Trost und hilft den Anruferinnen und Anrufern, ihre Gedanken zu sortieren und neue Perspektiven zu finden. Oft sind es gerade die kleinen Gesten des Verstehens, die einen großen Unterschied machen können. „Früher dachte ich immer, ich muss zu allem meinen Senf dazugeben. Dabei gibt Zuhören den Menschen so viel mehr“, sagt Beate, die seit 15 Jahren bei der TelefonSeelsorge arbeitet.
Für sie ist dieses Ehrenamt eine wertvolle und bereichernde Möglichkeit, Menschen in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen. Um den niederschwelligen Dienst rund um die Uhr aufrechterhalten zu können und auf den vergrößerten Bedarf zu reagieren, bildet die TelefonSeelsorge weitere Ehrenamtliche aus. Eine fundierte Ausbildung über zwölf Monate, regelmäßige Schulungen und Supervisionen sorgen dafür, dass die Ehrenamtlichen gut vorbereitet sind und sich in ihrer Rolle sicher fühlen.
Erfüllendes und sinnvolles Ehrenamt
Zudem bietet das Ehrenamt bei der TelefonSeelsorge die Möglichkeit, sich persönlich weiterzuentwickeln. Die Ehrenamtlichen verbessern durch die Ausbildung ihre kommunikativen Fähigkeiten und schulen ihre Empathie. Ein weiterer Aspekt, der das Ehrenamt bei der TelefonSeelsorge besonders macht, ist die Gemeinschaft unter den Ehrenamtlichen. Die bisher 187 qualifizierten Ehrenamtlichen arbeiten in einem unterstützenden Umfeld, in dem die Männer und Frauen jeden Alters sich gegenseitig austauschen und voneinander lernen können.
„Die Begegnung in der Gemeinschaft und der Austausch in den Supervisionsrunden sind mir eine große Unterstützung“, sagt Edgar, der als Ehrenamtlicher bei der katholischen TelefonSeelsorge Dienst seit sechs Jahren tut. Die Arbeit bei der TelefonSeelsorge ist für ihn nicht nur sinnvoll, sondern auch äußerst erfüllend. Die Dankbarkeit der Anrufenden und die Erkenntnis, dass man einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leistet, seien sehr motivierend.
Allgemeine Infos zur Telefonseelsorge
Die bundeseinheitliche 0800-Rufnummer wird regional verteilt und ist kostenfrei zu erreichen. In Stuttgart kommen Anrufende aus dem gesamten mittleren Neckarraum an, aus Stuttgart, den Landkreisen Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg, dem Rems-Murr-Kreis und aus Teilen des Landkreises Calw.
Die Evangelische TelefonSeelsorge Stuttgart e.V. ist zu erreichen unter der Rufnummer 0800 111 0111.
Die katholische TelefonSeelsorge Ruf und Rat ist ein Beratungs- und Seelsorgeangebot der Diözese Rottenburg-Stuttgart und unter der Rufnummer 0800 111 0 222 zu erreichen. Die Gespräche sind bei beiden Nummern grundsätzlich anonym und vertraulich. Die Leitungen sind rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr geschaltet.
Der nächste Ausbildungskurs bei Ruf und Rat beginnt Ende Juni, bei der Evangelischen TelefonSeelsorge startet die neue Runde im September.
Mehr Informationen dazu stehen auf www.telefonseelsorge-stuttgart.de und www.ruf-und-rat.de