Die 170 ehrenamtlichen Mitarbeitenden bei der katholischen Telefonseelsorge Ruf und Rat und der evangelischen TelefonSeelsorge haben 2014 zusammen 26.664 Stunden oder umgerechnet 1.111 Tage Dienst gemacht – mehr als drei Jahre Lebenszeit wurden hier eingebracht. Dabei haben die Ehrenamtlichen 62.305 Anrufe entgegen genommen. Das waren durchschnittlich etwa 170 am Tag auf den maximal vier Leitungen, die es in Stuttgart für die Anrufenden gibt.
Zwar führen nicht alle Anrufe zu ernsthaften Gesprächen, doch das waren 2014 immer noch mehr als 45.000. Etwa ein Viertel dieser Anrufe waren nach der Einschätzung der Mitarbeitenden „Erstanrufe“ in akuten Krisen. Die übrigen rund 30.000 Gespräche kamen von Menschen, die sich mehrmals oder auch über lange Zeit regelmäßig melden. Dennoch ist es so, dass laut Aussage der Telekom jedem geführten Gespräch bis zu 20 vergebliche Anrufversuche gegenüber stehen.
Etwa 9 Prozent der Anrufenden denken ernsthaft darüber nach, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Das liegt manchmal daran, dass sie an einer depressiven Störung leiden, rund 20 Prozent der Suizid-Gefährdeten geben das an. Seelische Erkrankungen sind auch bei den anderen Anruferinnen und Anrufern ein Problem, das deutlich zugenommen hat: rund 15.000 Menschen, also etwa ein Drittel der ernsthaft Anrufenden, berichten von dieser Diagnose. Noch einmal rund 20 Prozent oder etwa 9.000 Anrufer und Anruferinnen klagen über körperliche Beschwerden. Besonders Schmerzpatienten rufen oft an, wenn sie den Schmerz einfach nicht mehr aushalten. Der größere Teil der Anrufenden lebt allein, geschätzt deutlich über 60 Prozent. Bei den anderen sind Streitigkeiten in Familien und in den Beziehungen ein großes Thema – etwa 6.000 Mal haben die Ehrenamtlichen Gespräche zu diesem Thema geführt.
Manchmal sind es gar nicht so sehr die hohen Prozentzahlen, die die Beratenden am Telefon aufmerken lassen. An beiden Stellen zusammen gab es 2014 etwa 300 Gespräche mit Jugendlichen, die sich ritzen oder anders selbst verletzen. „Das klingt nach wenig, ist aber doch eine alarmierende Zahl“, sagt Krischan Johannsen, der Leiter der evangelischen TelefonSeelsorge. „Wenn man bedenkt, wie schambesetzt dieses Thema ist und dass selbst Eltern und beste Freunde auf keinen Fall vom Ritzen erfahren dürfen, kann man erst ermessen, wie wichtig die Telefonseelsorge für diese Jugendlichen ist, bevor sie sich weiter beraten und unterstützen lassen.“
Bei so viel Belastendem ist die Ausbildung der Ehrenamtlichen sehr wichtig. Die Techniker, Informatikerinnen, kaufmännischen Angestellten, ehemaligen Lehrerinnen oder Journalisten am Telefon hatten vor ihrer Zeit bei der Telefonseelsorge keine therapeutische Ausbildung. Sie stellen sich dieser Aufgabe nach der Pensionierung oder neben der Berufstätigkeit. Im ersten Jahr lernen sie die Grundlagen der Beratung: Wie fühlt man sich in andere ein? Welche Haltung ist in der Beratung wichtig? Wie geht man mit hoffnungslosen Lebenslagen um? Dadurch, dass sie über die eigene Lebensgeschichte sprechen, über die eigenen Krisen und deren Lösungen, können die Ehrenamtlichen mit der Zeit schwierige Gefühle bei sich selbst und anderen immer besser wahrnehmen – und sie können sie stehen lassen. Das ist ein Teil der Ausbildung. Die Ehrenamtlichen lernen darüber hinaus sehr intensiv hilfreiche Gesprächstechniken. Sie üben untereinander viele Stunden, bevor sie nach etwa einem Jahr zum ersten Mal selber beraten dürfen. Davor haben sie eine Menge über Depressionen, über den Umgang mit Suizidalen und über viele andere Krankheitsbilder gelernt, sie haben einige Fachbücher gelesen und besprochen. Auch das Thema Seelsorge spielt eine wichtige Rolle und wird ausführlich besprochen.
Im zweiten Jahr der Ausbildung, während die „Neuen“ schon ihren Dienst tun, wird ihre Ausbildung vertieft und intensiv begleitet. Und auch nach der zweijährigen Ausbildung bleiben die Ehrenamtlichen gut betreut. Etwa alle drei Wochen kommen sie zur Supervisionsgruppe. Hier besprechen sie die Themen ihrer Arbeit oder auch einmal eigene Anliegen. Rund 50 Stunden an Fortbildung werden ihnen jedes Jahr angeboten, von denen einige frei wählbar und andere verpflichtend sind.
2014 gab es als Höhepunkt dieser Fortbildungen für beide Stellen gemeinsam eine sogenannte „Frühjahrsuni“. Drei Monate lang konnten die Ehrenamtlichen unter mehr als fünfzig Veranstaltungen mit internen und auch externen Referentinnen wählen. Das reichte vom theologischen Vortrag über einen Intensivkurs zum Thema Trauma bis hin zu kreativen Kursen mit Tanz, Stimme und Ausdruck.
„Ohne die gute Ausbildung und die ständige Begleitung wäre dieser Dienst für die Ehrenamtlichen nicht zu schaffen“, meint Thomas Krieg, der Leiter der katholische Stelle Ruf und Rat. „Doch so, wie wir arbeiten, sind sie auch für schwierige Anrufe gut gerüstet.“ Deshalb blieben viele Ehrenamtliche jahrelang dabei. „Und sie schätzen das Miteinander sehr.“