Ergebnisse des Streetworkprojekts der Mobilen Jugendarbeit im Europaviertel präsentiert – Anschlussprojekt wird angestrebt, um Finanzierung geworben
Stuttgart. Das Europaviertel zieht täglich Tausende von Menschen an, darunter viele Jugendliche und junge Erwachsene. Neben dem Milaneo interessieren sich die jungen Menschen insbesondere für die Stadtbibliothek und den Mailänder Platz. Konflikte und Konfrontationen bleiben dabei nicht aus. Dazu gehörten in der Vergangenheit auch häufige Regelverstöße durch Jugendliche sowie Konflikte mit größeren Jugendgruppen in und um die Bibliothek. Das Quartier wurde deshalb im Januar 2016 in die „Sicherheitskonzeption Stuttgart“ aufgenommen. Von April bis Juni 2016 hat die Mobile Jugendarbeit gemeinsam mit der Stadtbibliothek und anderen Projektpartnern ein Streetwork-Projekt im Europaviertel durchgeführt. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Stadtbibliothek vorgestellt. Ein Anschlussprojekt – darin waren sich alle Beteiligten einig – wäre sinnvoll. Dessen Finanzierung ist allerdings noch offen.
Im Frühjahr 2016 haben fast fünfzig – und damit fast alle – Mitarbeitende der Mobilen Jugendarbeit Stuttgart Streetwork auf dem Mailänder Platz, in der Stadtbibliothek sowie im Milaneo gemacht. Drei Monate lang waren sie an zwei Tagen pro Woche hier unterwegs. Sie haben 837 junge Menschen angesprochen, diese nach ihren Interessen gefragt und mehrfach bei Konflikten deeskalierend eingegriffen. Das Projekt wurde wissenschaftlich begleitet durch das Institut für angewandte Sozialforschung (Ifas) der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Das Ifas hat Workshops mit Jugendlichen sowie mit Mitarbeitenden der Stadtbibliothek durchgeführt und Jugendliche befragt. Die Sozialarbeit sowie die wissenschaftliche Begleitung zeigen: Das Europaviertel ist für Jugendliche ein hoch attraktiver Freizeit- und Lebensraum. Viele Jugendliche bewegen sich zwischen Stadtbibliothek, Milaneo, Mailänder Platz und der Stadtbahnhaltestelle.
Die Kombination aus Stadtbibliothek und Milaneo ist in Deutschland einzigartig. Sie bedeutet für die Jugendlichen, Freunde zu treffen, sich zu bilden, zu chillen, zu shoppen, zu sehen und gesehen zu werden. „Der Platz ist für die jungen Menschen wie ein riesiger Abenteuerspielplatz“, sagte Prof. Thomas Meyer vom Ifas bei der Präsentation der Ergebnisse. Die Jugendlichen hätten ihn für sich erobert, wohnortnahe oder umliegende Jugendeinrichtungen seien für sie kein Ersatz. „Der Platz bleibt attraktiv für die Jugendlichen – wir müssen nur lernen, damit umzugehen.“
Der Mobilen Jugendarbeit ist es während des Projekts gelungen, mit unbekannten Jugendlichen in Kontakt zu treten, die Akzeptanz der Mitarbeitenden bei den Jugendlichen war sehr hoch. Nach ihren Wünschen befragt, erklärten sie in Workshops unter anderem, sie hätten gerne berufliche Beratung, Sprachkurse oder Beratung bei Problemen zu Hause.
Das Projekt hat gezeigt, dass es im Europaviertel Bedarf an Mobiler Jugendarbeit gibt. Darauf deutet auch ein aktueller Vorfall hin: zwei Gruppen Jugendlicher gerieten am 10. März heftig aneinander, dabei wurden Messer gezückt – es gab zahlreiche Verletzte. „Wir glauben, dass es weiter konfliktbehaftete Situationen geben wird“, sagte Klausjürgen Mauch, Bereichsleiter Jugendsozialarbeit der eva. Die Mobile Jugendarbeit könnte dazu beitragen, dass Konflikte zwischen Cliquen und Erwachsenen konstruktiv bearbeitet werden. „Die Befriedung vom Gemeinwesen – dafür sind wir Experten in den Stadtteilen.“ Ziel wäre, dass sich Jugendliche und Mitarbeitende der verschiedenen Organisationen im Europaviertel besser kennenlernen und dadurch Verständnisschwierigkeiten abbauen. Das liege auch im Interesse der Polizei, betonte Stefan Hetterich, Leiter des Dezernats für Jugendkriminalität im Polizeipräsidium Stuttgart: „Wir bringen uns dabei gerne ein. Nicht ganz uneigennützig, denn alles, was hier gelöst wird, landet nicht auf meinem Schreibtisch oder auf dem der Staatsanwaltschaft.“
Bisher gibt es für ein Anschlussprojekt, das alle Projektbeteiligten sich wünschen, allerdings noch keine Finanzierung. Sinnvoll für ein solches Projekt wäre eine Laufzeit von zwei bis zweieinhalb Jahren, um den Bedarf weiter zu klären. Die Kosten dafür liegen bei 184.000 Euro pro Jahr. Damit wären die Personalkosten für drei Mitarbeitende vor Ort sowie die Sachkosten abgedeckt. Für das dreimonatige Projekt 2016 haben die Träger der Mobilen Jugendarbeit, also die Evangelische Gesellschaft (eva) und der Caritasverband für Stuttgart, die Kosten übernommen. Die wissenschaftliche Begleitung wurde durch das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg finanziert.
Ein künftiges Projekt, das im Sommer oder Herbst 2017 starten könnte, kann dann umgesetzt werden, wenn es genügend Mittel von Stiftungen oder Projektgelder gibt. Falls das gelingt, könnte das zu einer positiven Stadtteilentwicklung im Europaviertel führen, so Prof. Thomas Meyer. Sebastian Jacob, Senior Projektmanager der Robert Bosch Stiftung, zeigte bei der Präsentation großes Interesse an dem Projekt: „Wir finden es leuchtturmhaft, dass hier versucht wird, rund um die Interessen der Jugendlichen die Anlieger zusammenzubringen.“ Die Robert Bosch Stiftung wolle in den nächsten Wochen über den Antrag für das Folgeprojekt entscheiden. Sie wolle auch bei anderen Stiftern und Philanthropen dafür werben, das Projekt zu unterstützen. Auch die Anlieger hätten Verantwortung für diesen Raum, sagte Jacob, „wir müssen dieses stadträumliche Anliegen gemeinsam stemmen“.
Und wie sehen die Jugendlichen selbst die Sozialarbeit im Europaviertel? Sie würden es begrüßen, wenn die Jugendsozialarbeiter wieder im Europaviertel unterwegs wären: „Ich finde das Projekt cool. Es zeigt ein gewisses Interesse an uns und sie versuchen, Jugendlichen, die Hilfe benötigen, zu helfen“, hat ein Jugendlicher den Forschern gesagt. Elke Brünle, die stellvertretende Direktorin der Stadtbibliothek, hat gleich nach dem dreimonatigen Projekt dessen positive Folgen bemerkt: Ein Sprachkurs für junge Migranten hatte plötzlich doppelt so viele Teilnehmende – die jungen Menschen hatten vorher einfach nicht gewusst, dass es das Angebot gab.