Stuttgart. Wie kann Integration ohne eigene Wohnung gelingen und was kann Sozialarbeit unter diesen Bedingungen leisten? Darüber haben Experten beim Treff Sozialarbeit der eva am 26. Oktober durchaus kontrovers diskutiert.
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist ganz zweifellos eines der dringlichsten Probleme in den Großstädten der Republik, das gilt auch und insbesondere für Stuttgart und die umliegende Region. Auf rund 5000 Wohnungen pro Jahr beläuft sich nach aktuellen Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln alleine in der Landeshauptstadt der Bedarf pro Jahr, tatsächlich gebaut wird nicht einmal die Hälfte davon. Besonders groß ist die Not im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, die Folgen davon sind überall zu spüren: „Die Konkurrenz unter den Geringverdienern auf dem Wohnungsmarkt wächst ständig. Junge Familien, Flüchtlinge, alleinerziehende Mütter, Studenten, Rentner, Beschäftigte aus Niedriglohnbranchen, Arbeitslose, Menschen mit Behinderung: Alle suchen bezahlbaren Wohnraum,“ sagt Jürgen Armbruster.
Drei Bewohner auf 14 Quadratmetern
Das Vorstandsmitglied der Evangelischen Gesellschaft hat am 26. Oktober beim überaus gut besuchten Treff Sozialarbeit der eva zusammen mit Stefan Spatz, dem Leiter des Stuttgarter Sozialamts sowie Daniel Rau vom Sozialdienst für Flüchtlinge darüber diskutiert, wie es angesichts des eklatanten Mangels an Wohnungen mit regulierender Preisbindung gelingen kann, all jene Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, die aus ihrer Heimat flüchten mussten und hier nun vielfach für lange Zeit in Gemeinschaftsunterkünften ausharren müssen. Wie sich das Leben in solch einer Unterkunft im Detail gestaltet, davon hat der junge Syrer Feras Houri den vielen Zuhörern berichtet. Nach seiner Flucht lebt er bereits seit zwei Jahren in Deutschland, untergebracht ist er inzwischen in einer Gemeinschaftsunterkunft in Stuttgart-Mitte. In seiner syrischen Heimat hat Houri als Informatiker gearbeitet, in Stuttgart absolviert er gerade im Fraunhofer Institut ein Praktikum als Programmierer. In der Unterkunft leben derzeit 140 Menschen, überwiegend Familien mit Kindern. Houri teilt sich mit zwei weiteren Flüchtlingen ein knapp 14 Quadratmeter großes Zimmer. „Ich habe keinerlei Privatsphäre und niemals Ruhe, um am Abend noch etwas arbeiten zu können“, erzählt der Syrer. Er selbst muss morgens um sechs Uhr aufstehen, seine Zimmernachbarn gehen dagegen oft erst um drei Uhr nachts schlafen, erzählt er. „Das passt einfach nicht zusammen.“
Daniel Rau kann von vielen solcher schwierigen Situationen berichten. Der Sozialarbeiter der eva hat in den vergangenen vier Jahren in verschiedenen Flüchtlingseinrichtungen gearbeitet, nun ist er für die Unterkunft in der Breitscheidstraße zuständig und der Syrer Feras Houri ist einer seiner vielen Schützlinge. Zu seinen zahlreichen Aufgaben gehört es unter anderem, Flüchtlinge bei der Wohnungssuche zu unterstützen, erzählt er. Ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen, wie er immer wieder feststellen muss. Pro Wohnung gebe es 700 Anfragen und mehr. Die Chancen auf eine Zusage seien mehr als gering. Sehr viele Menschen seien daher auf lange Zeit der Enge in den Gemeinschaftsunterkünften ausgesetzt. „Je länger man dort lebt, desto größer werden Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit“, sagt er. „Wenn sich das Gefühl verfestigt, in einer Randlage der Gesellschaft zu leben, resignieren die Betroffenen irgendwann.“
Zwei Neuerungen ab 1. Januar 2018
Stefan Spatz, als Leiter des Stuttgarter Sozialamtes mit der Not vieler Menschen konfrontiert, hat darauf eine etwas andere Sicht. Er selbst sei Ende der 1960er Jahre in Zuffenhausen in einem armen Stadtteil aufgewachsen und habe zu dieser Zeit wie viele andere auch beispielsweise viele Jahre lang ohne Dusche auskommen müssen. Die damalige Generation sei damit zurechtgekommen. „Sie werden das auch schaffen. Sie sind motiviert und sprechen schon sehr gut deutsch, das ist bewundernswert“, sagt er in Richtung Feras Houri. Um die Integration im nächsten Jahr voranzutreiben, seien zwei Neuerungen geplant, so Spatz. Zum einen habe man dem Land signalisiert, dass man in Stuttgart ab dem 1. Januar 2018 in den Unterkünften die eigentlich jetzt schon verpflichtenden sieben Quadratmeter Platz pro Flüchtling umsetzen werde. Gleichzeitig werde man ab dem gleichen Stichtag dafür sorgen, dass zwischen Sozialarbeitern und Flüchtlingen Intergrationsvereinbarungen geschlossen werden. „Wir wollen mehr Verbindlichkeit und mehr Führung bei der Betreuung“, so Spatz. Es werde daher vierteljährlich überprüft, ob die getroffenen Vereinbarungen erreicht worden sind.
Die konsequente Einführung eines Fallmanagements in der Flüchtlingshilfe hält auch eva-Vorstandsmitglied Jürgen Armbruster grundsätzlich für ein sinnvolles Instrument, um solche Gemeinschaften „wohnfähig“ zu machen, wie er sagt. Im Fachpublikum regt sich bei diesem Thema allerdings auch zunehmend Protest, verbunden mit Frage, was eine Integrationsvereinbarung nutze, wenn es keinen ausreichenden Platz gibt, um vereinbarte Integrationsleistungen auch umsetzen zu können. Er sei sehr dafür, die Opfer der Zustände nicht noch weiter unter Druck zu setzen, betont etwa der Leiter der Stadtmission, Peter Meyer, der sich an diesem Vormittag als einer der vielen Zuhörer zu Wort meldet. Eine Heimleiterin, die vor zwölf Jahren selber als Flüchtling in Deutschland angekommen ist, berichtet von fehlenden Rückzugsräumen, zu wenig Ruhe, mangelnder Privatsphäre und einer Vielzahl an vergeblichen Versuchen, eine Wohnung zu finden. „Niemand vermietet an einen Flüchtling“, sagt sie.
"Wir brauchen im großen Stil bezahlbare Wohnungen"
Die Evangelische Gesellschaft habe längst in ausnahmslos allen Feldern der sozialen Arbeit mit Wohnungsnot zu tun, betont auch Jürgen Armbruster, der selber einmal als Sozialarbeiter angefangen hat: „Wir brauchen in großem Stil bezahlbaren Wohnungen“, sagt er. Mit einer durchschnittlichen Nettokaltmiete von 9,76 Euro pro Quadratmeter sei Stuttgart bundesweit die zweitteuerste Stadt nach München. Aktuell seien 4000 Menschen registriert, die im Rahmen der Wohnungsnotfallhilfe betreut werden. Der Staat und die Kommunen hätten sich in den vergangenen Jahren zu wenig um den sozialen Wohnungsbau gekümmert, betont Armbruster. Zwar würden derzeit jährlich 1.800 neue Wohnungen gebaut, davon 300 Sozialwohnungen. Gleichzeitig würden jedes Jahr aber 450 Wohnungen aus der Preisbindung fallen. „Das Thema Wohnungsnot findet bei uns viel zu wenig Beachtung“, so Armbruster.
Für immer mehr Menschen ist damit ein langfristiges Schicksal verbunden, eine Notlage, die sich zur dauerhaften Realität auswächst. Es sei daher dringend geboten, die räumlichen Standards in den Unterkünften dieser Realität anzupassen. „Die Situation in den Flüchtlingsunterkünften muss mit Blick auf eine gelingende Integration dringend verbessert werden“, sagt Armbruster, der dabei etwa an Ein-Zimmer-Apartments denkt. Die eva selbst trete zwischenzeitlich zunehmend als Zwischenmieter auf, übernehme damit das Mietrisiko und vermiete die Wohnungen dann weiter. Dieser Ansatz werde künftig noch weiter ausgebaut, betont er: „Die Menschen in den Einrichtungen brauchen das Gefühl, nicht vergessen zu werden.“